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Ausgewählter Beitrag

Gentleman sein

Diese Woche war ich auf einem Workshop: "Gentleman sein".

Der Begriff des Gentleman beschäftigt mich schon seit meiner Jugend, ich trug ihn als junger Erwachsener in mir. Damals leider Lichtjahre entfernt, ein Traum wie aus einer anderen Welt. Die Frage der Identität beschäftigte mich damals bereits, sie war jedoch depressiv und verzweifelt. Seit dem Outing hat sich zum Glück viel geändert ;-)

>Hier< ein paar Gedanken, wie ich mich möglicherweise entwickelt hätte, wären nicht Erwartungen und gesellschaftlichen Zwänge um mich herum gewesen. Wie gerne wäre ich der Gentleman für diese Frauen in meinem Leben gewesen. Wie sehr genieße ich es, dies nun für die Dame meines Herzens sein zu dürfen! 

Ein >Vorbild< gibt es natürlich auch. Das Wort "Gentleman" taucht in diesem Beitrag nicht auf. Aber er ist für mich die Personifikation dessen, was ich mir darunter vorstelle.

>Die Frage des Stils< beschäftigt mich auch. Mitte 2015, noch auf der Suche nach meinem persönlichen Look. Inzwischen habe ich ihn gefunden. Zwar noch nicht exakt so, wie ich möchte (aktuell noch zu viele körperliche Veränderungen, als dass ich mir teure Kleidung kaufen möchte), aber ich kenne die Richtung. 

Als ich letzte Woche bei der Streetwork das Plakat mit der Werbung für den Workshop sah, war klar, dass ich den besuchen werde. Schon zu lange habe ich den Begriff im Hinterkopf ohne mich wirklich damit auseinanderzusetzen, was das eigentlich bedeutet. Wann, wenn nicht jetzt? ;-)

Außer dem Referenten waren vier Gäste anwesend. Schade, etwas wenig für ein so schönes Thema. Dafür aber gab es die Möglichkeit für spannende Exkurse und interessante Einwürfe, sodass jeder sich beteiligen konnte. 

Ich werde hier nicht 1:1 widergeben, was gesagt wurde. Statt dessen möchte ich für mich gerne reflektieren, was ich mitgenommen habe und für mich anwenden möchte. 


WAS IST EIN GENTLEMAN

Mir gefiel das Bild der "Mango": außen sanft, innen standfest. Das steht im krassen Gegensatz zu dem typischen Bild "harte Schale weicher Kern". Mir gefällt die Mango deutlich besser. Denn "außen weich" klingt verletzlich, aber wer innen stabil ist muss diese Verletzlichkeit nicht fürchten. 

Ehre als Ansehen vor sich selbst ist auch etwas, das mir im Leben sehr wichtig ist. Es gab Situationen im Leben, als ich mir nicht mehr in die Augen sehen konnte. Also habe ich die Situation geändert, auch wenn ich dafür teils harte Konsequenzen tragen musste (weniger Gehalt, Verlust von "Freunden" usw). Aber wenigstens war ich wieder im Einklang ... 

Dann sind da natürlich die Tugenden, dieses Wort geistert mir immer durch den Kopf und wurde auch im Workshop genannt. Eigentlich etwas, das selbstverständlich sein sollte. Ich finde es traurig, dass so etwas überhaupt erwähnt werden muss. 

Die Definition des Gentleman wurde auch in Verbindung gesetzt zum Begriff des Philosophen. Fand ich eine interessante Gegenüberstellung. Ich werde mich demnächst etwas genauer mit beiden Begriffen auseinandersetzen, es wurden zwei interessante Bücher empfohlen, und aktuell ist ja genau dies mein Thema, ich werde mich also schrittweise einarbeiten ... 


KRISE DES MANNES

Ein spannendes Thema, das in den letzten Jahren immer wieder aufs Tablett gebracht wird. Alleinerziehende Mütter, weibliche Betreuung im Kindergarten, ein sich änderndes Rollenbild in der Gesellschaft, etc. Ich habe nicht viel dazu gebloggt bisher, weil es dann doch ein sehr kritisches und auch politisches Thema ist, das ich ungern offen austragen möchte. Doch mit dieser gesellschaftlichen Sinnkrise des Mannes befasse ich mich schon länger, und ich fand die Beschreibung des Referenten sehr interessant. 


HÖFLICHKEIT

Höflichkeit ist eine Wertschätzung des Gegenüber, eine innere Haltung und eine Lebenskunst. Hierzu wurde einiges ausgetauscht, wir sahen einen kurzen Ausschnitt aus einem Interview mit Prinz Asfa-Wossen Asserate und diskutierten. Etikette kann man lernen, aber der Respekt vor dem Gegenüber, der kommt von innen. Ich musste viel an meinen alten und neuen Job denken, wo mir dieser Aspekt sehr wichtig ist (was dazu führte, dass viele Kollegen im alten Job über mich lachten, weil sie das meinen Klienten gegenüber unpassend fanden). Und daran, wieviele Türen man damit öffnet, wenn der Gegenüber sich wertgeschätzt und wahrgenommen fühlt. 


GESPRÄCHSKUNST

Als ich diesen Punkt auf dem Monitor las, dachte ich ja sofort an alles, was ich im Studium und Job gelernt hatte. Umso überraschter und erfreuter war ich, als hier andere Aspekte beleuchtet wurden. Klar, Zuhören. Aber auch die Frage, was zu einem guten Gespräch gehört. Eloquenz, Humor, keine Passivität aber auch kein Aufdrängen. Die Macht der Frage. Kein Tratsch, keine Konfliktthemen. Und vor allem: man sollte etwas zu sagen haben ;-)


UNDERSTATEMENT

Klar, da hat man sofort den britischen Gentleman vor Augen. "Bescheidenheit bedeutet den Sieg über sich selbst", eine schöne Aussage. Heutzutage ist es dagegen üblich, sich darzustellen, sich zu beweisen, besser zu sein. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, und sich dezent zurückzunehmen ist eine hohe Kunst. Das ist ein Punkt, der emotional in mir sehr viel ausgelöst hat, aber dafür gibt es ja den Passwort-Bereich hier ...


GLEICHGEWICHT

Das Maß zu halten, die Gegensätze des Lebens in sich zu vereinen und diese mit Humor und Selbst-Ironie zu leben. Was das "Vereinen von Gegensätzen" betrifft, arbeite ich derzeit sehr hart an mir. Ich fühle mich wie ein wandelnder Widerspruch und muss lernen, all diese gegensätzlichen Dinge in mir zu vereinen. Außen und innen, Verstand und Gefühl, Mann und Frau, gesellschaftliche Konvention und empfundene Werte. Seit dem Outing kann ich deutlich besser mit diesen Widersprüchen umgehen. 


CONTENANCE

Oh, wie ich dieses Wort liebe. Selbstkontrolle. Gelassenheit. Die Macht über sich selbst. Gefühle transformieren, Begierden verfeinern, trotz des Chaos im Leben ruhig und gelassen bleiben. Ich ergänze: dem Schweinehund zeigen, wer das Sagen hat, Selbstdisziplin. Mein liebster Punkt. Und genau deswegen wohl auch der, an dem ich ebenfalls arbeiten muss. Allerdings in die andere Richtung. Denn gelassen zu bleiben bedeutet nicht, dass man nicht auch aus sich herausgehen und aus-gelassen sein darf. Man darf auch unperfekt sein und den Schweinehund am Wochenende mal so richtig füttern. Da wären wir wieder beim Thema "Gleichgewicht" ;-)


UNCOOL SEIN

Ach, das tat gut. Das war schön. Statt Kälte - Wärme und Wohlwollen auszustrahlen, weil dies ein Zeichen von Stärke ist. Dem kann ich uneingeschränkt zustimmen. Es ist einer der Punkte, mit denen ich oft hadere. Nach einem >Gutachter-Gespräch< habe ich mich vor einiger Zeit intensiv damit beschäftigt, dass mein männliches Ideal leider nicht passingtauglich ist. Und auch heute knabbere ich manchmal daran, dass ich aufgrund meines Auftretens oft für weiblich gehalten werde. Wären wieder die Punkte Gleichgewicht / Ironie, an denen ich arbeite, denn ich will und werde meine weiche Seite nicht verleugnen. Ein Gentleman ist für mich die Verkörperung des männlichen Ideals, und dieser Punkt des "uncool sein" hat mich sehr berührt. Dieser Workshop fühlte sich an, als hätte da jemand mein Seelchen gestreichelt und gesagt "hey, Du bist okay. Als Mensch, als Mann und überhaupt". 


IRONIE

Die Absurditäten, das Widersprüchliche und die Tragik des Lebens mit Ironie bewältigen. Diese Widersprüche (des Außen, aber auch von sich selbst) zu vereinen. Nicht über andere Menschen Situationen zu urteilen sondern offen zu bleiben auch für andere Meinungen, für Gegensätze. Über den Begriff der Ironie habe ich davor nie näher nachgedacht, und ich fand die Ausführungen des Referenten sehr interessant. Mir fiel es bisher immer schwer, zwischen Ironie, Zynismus und Sarkasmus zu unterscheiden, heute wurde es mir etwas klarer. 


CHARME

Be-Zaubern mit dem eigenen Charisma. Ja, puuuuh! Sowas kann man nicht einfach lernen. Das ist ... ja, was ist das eigentlich? Und wer hat so etwas, wer nicht? Woran kann man das festmachen? Dieser Punkt blieb mir etwas fremd, weil ich ihn als sehr abstrakt empfinde. Ich denke, das kann man nicht so einfach lernen wie die anderen Dinge, indem man es anhand von Alltagssituationen probt, indem man sich reflektiert usw. Das ist etwas, das vermutlich von selbst kommen wird, sobald man nicht mehr darüber nachdenkt. Es wird sich einstellen, wenn man all die anderen Dinge verinnerlicht hat und aufhört darüber nachzudenken. Bis dahin ist es noch ein langer Weg! Aber das Leben ist dazu da, jeden Tag ein Stück an sich selbst zu wachsen. Und eines Tages, ... 


MEIN FAZIT

Vieles, was erzählt wurde, hatte ich gespürt bereits in mir. All dem einen Namen zu geben, es in einen Kontext zu bringen und greifbar zu machen, das war eine große Bereicherung für mich. Es machte vieles klarer. Gibt mir das Gefühl, auf einem guten Weg zu sein. Natürlich hätte ich auch ohne den Workshop meinen eigenen Weg verfolgt. Aber es tat gut eine Art Bestätigung von außen zu bekommen und dabei ein paar neue Dinge zu lernen. 

Wie oft höre ich "Du als Mann musst dies und das" und dann irgendwelche platten Sprüche. Bisher dachte ich eher "´n Scheiß muss ich" und "will ich aber nicht". Schön, wenn ich jetzt das Bild des Gentleman vor mir sehe und einfach nur lächeln kann statt mich zu rechtfertigen ;-)

Einzig was mich etwas schmerzte: der Bezug des Gentleman auf die Lady als Gegenstück. Dualität, Binär, Ying Yang. Ich weiß, dass das Leben aus Gegensätzen besteht. Aber ich kenne so viele Menschen, die sich aus dieser binären Gender-Schublade herausgenommen haben. Und selbst fühle ich mich damit auch oft übergangen. Ich weiß, dass das albern ist, denn "Gentleman" trägt ja das Wort "Mann" in sich, und ich wollte auch unbedingt als "Mann" anerkannt werden, einen "männlichen" Ausweis haben, fühle mich als "Mann" und will dennoch zeigen, dass es mehr gibt als das. 

Denn, mal ehrlich: all das was oben steht, trifft doch auf Frauen ebenso zu. Guter Gesprächspartner zu sein, Tugenden zu pflegen, charmant zu sein, Humor / Ironie, sich im Gleichgewicht zu befinden, sich bescheiden im Hintergrund zu halten, selbstbeherrscht zu sein usw. Meiner Ansicht nach trifft all dies auch auf eine Lady zu. Ich verweise auf das Gedicht "If" von Kipling und die >Übersetzung< von Lizzy Cartwell. Am Ende sagt sie: "dann bist du ein MENSCH, mein Sohn!" Überhaupt - dieses Gedicht ist im Grunde eine schöne Zusammenfassung des Gentleman / Menschen, wie ich finde ;-)

Ich ärgere mich oft über mich selbst, dass ich in diesen Mustern denke. Und ja, gerade die Damen sind es, die den Gentleman in mir wachkitzeln, während Männer dies nicht tun. Ich will nicht so ticken. Ich will einen Menschen nicht auf ein Geschlecht festlegen. Damit hadere ich oft. Aber das ist ein eigenes Thema (und das wäre einen eigenen Workshop wert). 

Also, alles in allem: ein sehr, sehr schöner Abend. Danke :-)

2heartedman 04.02.2017, 13.39

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Dominik

Mensch als Mensch sehen und von Mensch zu Mensch miteinander umzugehen waere so viel weniger krampfig.
Denn es ist nicht gesagt, dass ein Mann unbedingt staerker oder fitter in manchen Dingen ist, als eine Frau, und ob einem die Dekoration oder das technische Basteln eher liegen ist genau so nicht an Mann sein oder Frau sein gebunden.
Wenn wir mal alle einfach nur den Menschen in unserem Gegenueber sehen wuerden, dann haetten alle Klischees ausgedient.

Erwartungshaltungen haetten auch ihre Daseinsberechtigung verloren, denn es braeuchte nicht mehr heissen, "Du bist ..., Du kannst das besser als ..., mach mal bitte."
sondern man wuerde einfach sagen koennen, ich bin nicht gut in ..., ist hier jemand, der das gerne macht, oder gut kann? und es waere egal, wier dann "hier, ich mach das" ruft.
Grade heute wieder erlebt, von einer Person in dieses "Du bist Frau, Du musst ... doch aus dem ff beherrschen"gepresst zu werden, und dann auch noch in Rechtfertigungszwang sein, wieso es eben so nicht ist.
Hoffentlich gibt es aehnliche Workshop Themen auch mal in unserer Gegend, da koennte ich vielleicht noch ein bisschen was dazu lernen.

vom 05.02.2017, 20.13
Antwort von 2heartedman:

Ja, ich wünschte mir auch, man würde Menschen sehen statt Geschlechter, ... aber davon sind wir leider weit entfernt in der Gesellschaft :(

Solche speziellen Workshops sind leider eher selten. Ich glaube, gerade mit den Genderthemen befasst sich vermutlich fast nur, wer davon betroffen ist. Alle anderen haben meist keinen Grund, denn es ist ein System, das kaum jmd hinterfragt, weil es schon wirkt wie ein Axiom. Wer damit nicht konfrontiert ist, käme nicht auf die Idee zu fragen, ob es da noch mehr gibt und warum das überhaupt so ist und warum es anders sein sollte ... 

traurig ...