two hearted man
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Nature or Nurture

Die Frage, ob die Neigung zu Homosexualität angeboren oder erlernt ist, ist nicht neu. Es gibt Studien, die besagen dies, es gibt Studien, die besagen jenes. Ich will mich da gar nicht einmischen. Denn meiner Ansicht nach kann man Dinge niemals monokausal betrachten.


Manchmal frage ich mich, wie meine Sexualität sich entwickelt hätte, wenn ich namentlich benannt hätte, dass ich transsexuell bin. Oder wenn man mir nicht vorgelebt hätte, dass Homosexualität abnorm ist. Oder wenn ich gar keine Vorgaben gehabt hätte. 

Ich hing eher mit Jungs in der Gruppe, als Kind wie als Jugendliche. Lag das daran, dass ich mich ihnen verbunden fühlte und gerne einer gewesen wäre? Oder daran, dass ich mich eher zu ihnen hingezogen fühlte? Oder beides? Oder weil sie mich schlicht weniger mobbten als die Mädels, die meist sehr bösartig waren zu mir?

Mein erster Kuss war in der Grundschule. Mein bester Freund, heimlich hinter den Blumenbeeten. Puppy Love, harmlos. Aber man zog uns als Paar auf, als verliebt. Ja, doch, ich glaube, im Rahmen dessen, was man in der Grundschule als "verliebt" bezeichnen kann, war ich es. War eifersüchtig, wenn er andere Mädchen traf und mit ihnen spielte (immerhin gestand er mir später, dass es keinen Spaß gemacht hatte, aber dass seine Mutter wollte, dass er auch andere Kinder als mich traf). Und fragte mich oft, wie es wäre, wenn wir gemeinsam älter würden. 

Meinen ersten Partner hatte ich aber erst mit 19, wir blieben 13 Jahre zusammen. Davor schwärmte ich viele Jahre für einen bestimmten Jungen. Und zwischendurch gab es mal einen, der etwas von mir wollte, ich ließ mich darauf ein aber habe absolut nichts empfunden. Und wie sich herausstellte, war das wohl auch nur eine Wette gewesen, ob er mich "rumkriegt" (hat er nicht). Und dann war da mal einer auf der Jugendfreizeit, der was von mir wollte, aber auch das hat mich wenig interessiert, ich habe halt mitgespielt, weil sich das irgendwie so gehörte und weil ich sagen wollte, dass ich auch nen Freund hatte und mal bei ´nem Jungen auf dem Zimmer war, aber es hat mich weder bewegt noch berührt, und es lief auch nie etwas, ich hatte einfach keine Lust auf sowas. Ich zählte das auch nicht wirklich als Beziehung, einfach weil es mich sowas von kalt ließ und auch jeweils nur ein paar Tage dauerte. 

Aber es gab auch einige Mädchen, bei denen mein Herz richtig klopfte. 

Ein Mädchen, das ich nur vom Sehen kannte, sehr androgyn, spielte im Schultheater immer die männliche Hauptrolle, ich fand sie so süß, mochte ihre Art, aber ich getraute mich nie, sie anzusprechen. Mmh, und wenn sie dann in Shakespeare-Tracht ihre Texte sprach, da wurde mir ganz anders! Dachte aber sehr oft an sie, freute mich auf jedes Treffen, besuchte all ihre Theaterveranstaltungen und hoffte, dass meine Schulfreundin sie mit zu einem Treffen bringen würde. Fragte sie nach ihr aus, malte mir Geschichten mit ihr aus. Da ich ein Mädchen war und sie auch, kam mir niemals in den Sinn, dass man das "verliebt" nennen könnte, denn sowas gab es einfach nicht in meiner Welt, meinem Vokabular, meinem Denken. 

Meine beste Freundin etwa von der sechsten bis zur neunten Klasse. Wir haben uns alles anvertraut, haben viel miteinander unternommen. Ich war der perfekte Gentleman, hielt ihr die Türen auf, trug ihr die Tasche. Abends beim Spazieren sagte ich Sachen wie "Du musst keine Angst haben. Wenn es dunkel wird, beschütze ich Dich". Das klingt so plump, aber ich meinte es ernst, und so fühlte ich. Einmal, als wir ihre Schwester im Krankenhaus besuchten und es zu wenig Stühle für alle Gäste gab, da saß sie auf meinem Schoß, ich hielt sie fest, und ich habe es sosehr genossen! 

Einige Tage später bekam ich ein Zettelchen von ihr, einen kleinen Brief. Da stand sinngemäß "ich bin nicht lesbisch oder so, aber ich fand das total schön. Und ich wünschte mir, Du wärst ein Junge. Ich hätte so gerne einen Freund wie Dich". Ich hab nur abgenickt, gemeint "ist okay", was hätte ich sagen sollen? In mir brannte es zu sagen "ich BIN ein Junge, siehst Du das nicht"? Aber wie hätte ich das sagen können, wo ich doch selbst dachte, dass ich ein Mädchen war. In mir drin war alles verknotet, verkehrt, da hat etwas nicht gespasst, ich wusste was es war und wusste doch, dass es nicht sein kann. Ich wäre so gerne der Junge an ihrer Seite gewesen, aber ich wusste, dass mir dazu ein paar lächerliche Zentimeter zwischen den Beinen fehlen. Die niemand im Alltag jemals sieht, und die trotzdem darüber entschieden, wen ich lieben durfte und wie ich mich verhalten musste und wer ich zu sein hatte. Und darüber, wer mich attraktiv fand und wer nicht ... 

Es gibt ein Foto, auf dem sie und ich Arm in Arm im Park stehen. Später erzählte sie mir kichernd, dass ihr Vater das Foto sah und ihr eine riesige Szene machte. Dass sie noch zu jung sei für einen Freund. Dass er den Typen erst kennenlernen wolle bevor sie mit ihm rausgeht. Und so weiter, was Väter ihren erblühenden Mädchen eben so alles vorhalten, sobald der erste Konkurrent auf der Bildfläche erscheint. Es tat mir leid, dass sie solchen Ärger bekommen hatte, aber insgeheim freute ich mir ein Loch in den Bauch. Weil der Vater mich für einen jungen Mann hielt. Und weil er dachte, dass wir zusammengehören. Weil ich mir für einen Moment vorstellte, wie es wäre, wenn sie und ich ... Arm in Arm ... küssend ... gemeinsam ... 

Und dann, während ich bereits einen Partner hatte, traf ich während des Studiums auf eine junge Frau. wir haben heute noch Kontakt. Sie hat mich auf eine Weise berührt wie noch nie eine Frau zuvor. Ich sah sie, und es hat gefunkt. Das heißt nicht, dass ich meinen Mann in diesem Moment weniger liebte, warum auch? Da wären wir beim Thema Polyamorie, aber das ist keine Neigung, sondern eine Beziehungsform, die ich erst später kennenlernte.

Ich genoss jede Minute, die ich mit ihr verbringen konnte. Hätte ihr die Sterne vom Himmel geholt. Auch für sie war ich der Gentleman, wollte sie beschützen, für sie da sein, sie trösten, ihr die Getränkekisten in den xten Stock des Studentenwerks schleppen, als der Aufzug kaputt war. Wir sahen uns während der Woche fast täglich. Tauschten uns aus über Bücher, Filme, Mangas, über die Komilitoninnen, die Dozenten, über unser Privatleben, unsere Hobbies, Gedanken, Gefühle. 

Nach dem Studium blieben wir in Kontakt. Es gab ein Ereignis in meinem Leben, das dazu führte, dass ich ihr nicht mehr schrieb, nicht mehr anrief, ich schämte mich über mein Verhalten und wollte ihr nicht mehr unter die Augen treten, denn ich wollte sie nicht anlügen, wir hatten uns immer alles erzählt, doch das wollte ich ihr nicht erzählen (gehört hier aber nicht in den Blog). Erst viele Jahre später wagte ich es, sie wieder anzuschreiben. Seitdem haben wir wieder Kontakt, und noch immer empfinde ich so wie damals. 

Vor etwa zwei Jahren habe ich ihr meine Gefühle offenbart. Weil, es würde ja nichts ändern, ich würde meinen jetzigen Partner nicht verlassen und die 400 km zu ihr in die andere Stadt ziehen. Zumal sie ja sowieso nur auf Männer steht (dass ich sie liebe, offenbarte ich ihr vor meinem Outing als Mann. Wie es seitdem aussieht, weiß ich nicht, aber ich möchte auch niht fragen). Sie ging sehr gut damit um, es war okay, sie wendete sich nicht ab, Wir haben immer noch sehr guten Kontakt. 

Ich genieße die Situation, wie sie ist. Wir schreiben uns oft und viel. In meinen Briefen an sie liegt eine Menge drin, das ihr so vermutlich gar nicht bewusst ist. Das ist okay, ich komme damit klar. Auch, wenn ich manchmal ein wenig traurig bin deswegen. Ich frage mich oft, was sie denkt, seit ihr nun bewusst ist, dass ich schon immer ein Mann war und eines Tages auch weitgehend körperlich einer sein werde. Ob sich ihre Einstellung mir gegenüber ändert? Ob sie anfängt ebenfalls etwas für mich zu empfinden? Oder ob sie mich noch immer als die weibliche Freundin sieht, mit der man über alles reden kann? Ob "Mann" für sie Bart und Muskeln bedeutet, oder ob "Mann" für sie das zwischen den Beinen ist? Ich weiß nicht, ob ich die Antwort hören möchte ... 

Manchmal frage ich mich "was wäre gewesen wenn". Was wäre gewesen, wenn ich damals gewusst hätte, dass es auch Bisexualität gibt? Wenn ich meine Gefühle als solche erkannt hätte, und wenn ich den Mut gehabt hätte, dazu zu stehen? 

Allerdings glaube ich nicht, dass ich erfolgreich gewesen wäre. Denn das ist das Problem, das manche Transmänner haben: sie stehen auf heterosexuelle Frauen. Völlig bescheuerte Situation, denn man kann sich ihnen nicht als Mann nähern, und sie nehmen einen nur als Frau wahr. 

Und abgesehen von heterosexuellen Frauen fühlte ich mich schon immer zu homosexuellen Männern hingezogen. Bzw, da es nicht an mir liegt, deren Sexualität zu definieren, sage ich es so: ich fühlte mich hingezogen zu Männern, die sehr gepflegt und weiblich aussahen, die weich und sanft auftraten, die sich elegant bewegten, mit melodischer Stimme sprachen und nicht dem männlichen Klischee entsprachen. Auch das ein Fail, denn die sahen in mir die Kumpelfreundin, aber niemals einen anderen Mann, für den sie sich begeistern konnten. 

Naja, vor sechseinhalb Jahren traf ich dann meinen Mann, und der mochte das Beidgeschlechtliche an mir. Meinen weiblichen Körper, mein maskulines Auftreten, meine markigen Sprüche, das Machogehabe zu Hause und auch die gelegentliche weibliche Schutzbedürftigkeit und Unbeholfenheit. Eben alles zusammen, ohne darin einen Widerspruch zu sehen. Und ebendas liebe ich an ihm: seinen weiblichen Charme, sein feminines Denken, die vielschichtigen Emotionen, aber auch den männlichen Körper, das Praktische, das Zupacken-Können im Alltag. Wir sind weit darüber hinaus, irgend etwas als männlich oder weiblich zu definieren, aber die Gesellschaft hält es uns immer wieder vor Augen. 

Ist das alles nicht völlig egal? Sollte Liebe nicht einfach Liebe sein? Liebe wird immer als eine höhere Macht bezeichnet, sie wird als etwas Überirdisches beschrieben, als etwas, das von Herzen kommt, das Raum und Zeit überwindet und keine Entfernungen kennt und spirituell ist und so weiter. Warum wird sie dann sosehr trivialisiert, dass sie an ein Geschlecht oder einen Körper gebunden sein soll? Das stimmt mich traurig ...

2heartedman 25.05.2015, 11.58

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