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Ausgewählter Beitrag

Museum

Kürzlich war ich im Museum. Hatte mich sehr darauf gefreut und auch innerlich darauf vorbereitet. Wenn ich weiß, was mich erwartet (viele Leute, geschlossene Räume, künstliches Licht), dann kann ich mich darauf einstellen. Meistens klappt das dann auch. In diesem Fall hatte ich die Situation deutlich unterschätzt.


Die Räumlichkeiten selbst waren in Ordnung, mit dem künstlichen Licht kam ich gut klar, es flackerte nicht, und die Musikuntermalung war unaufdringlich. Aber die Anzahl der Menschen hatte ich deutlich unterschätzt!

Gelegentlich standen sie so eng, dass man sich automatisch berührte. An manchen Schaukästen konnte ich nicht stehen, weil die Betrachter fast schon hauteng kuschelten. Ich stand etwas abseits und wartete dann, bis sich die Gruppe auflöste und ich wieder selbst dorthin konnte. 

Die Menschen waren der Situation entsprechend still, redeten eher im Flüsterton. Anfangs kam ich sehr gut zurecht, konnte mich auf den Audioguide konzentrieren und die Texte lesen, absolut fokussiert auf das Thema und die Exponate. Doch nach etwa einer Stunde wurde es immer schwieriger. 

Dann ist das passiert, was ich nicht beschreiben kann, was niemand nachvollziehen kann, der es nicht selbst erlebt, und was ich nur zu gut kenne: die Welt um mich herum beginnt zu verschwimmen, ich kann den Blick und meinen Geist nicht mehr fokussieren. Mir wird schwindlig, aber nicht aus einer körperlichen Ursache heraus. Ich höre nicht mehr das, worauf ich mich konzentriere, sondern ich beginne alles um mich herum zu hören. Sehe nicht mehr das, was ich ansehe, sondern alles um mich herum, meine Welt wird zu einer einheitlichen, lauten, rotierenden, summenden, brummenden, stinkenden Masse, die sich dreht und die mich zu erdrücken beginnt.

Zucke bei dem kleinsten Geräusch zusammen, höre das Rauschen der Lüftung, die Schritte der Menschen, hier hustet jemand, dort flüstert ein Paar, der Typ neben mir hat den Audioguide so laut, dass ich mithören kann, dieser hat Schluckauf, die da zieht komisch die Luft ein beim Atmen. Die Dame hat ein penetrantes Parfum, der Kerl hier sollte mal wieder duschen, das da riecht nach Lederjacke, der da ist Raucher, hier wurde vorhin mit Zitronenreiniger gewischt, und plötzlich muss jemand niesen, jemand berührt mich im Vorbeigehen, es fühlt sich an wie ein Schlag, die Lüftung wird immer lauter, das Atmen wird schwer, die Luft fühlt sich an wie eine zähe breiige Masse alles beginnt sich zu drehen mir wird schwindelig ich fang gleich an zu schreien! 

Früher konnte ich solche Situationen nicht einschätzen, und ich hätte dann womöglich meinen Partner angeschrien. Oder ich hätte wutschnaubend den Saal verlassen, hätte mich über die Ignoranz der anderen aufgeregt und gewettert dass die den Saal nicht mal richtig beleuchten und belüften können und dass sie doch wissen müssten, dass mit hohem Menschenaufkommen zu rechnen ist und sie Vorbereitungen treffen müssen.

Inzwischen weiß ich, was diese Anzeichen bedeuten. Ich stellte mich etwas abseits von den Menschen in eine ruhige Ecke, um ein paar Reize auszuschließen. Hoffte, dass es besser würde und ich mich wieder sammeln könnte. Manchmal klappt das. In diesem Fall hat es nicht funktioniert. Also sah ich mich um, ob irgendwo Mitarbeiter herumlaufen. Wie im Baumerkt, ständig ist einer da, aber wenn man einen braucht ... 

Neeeein, nicht aufregen. Mir selbst gut zureden, ich schaffe das! Erklärte meinem Mann, dass "es" wieder losgeht und wir überlegten, was ich tun könnte. Museum verlassen wollte ich nicht. War teuer, war interessant, seh ich nicht ein aufzugeben. Also bin ich den ganzen Weg zurück zum Eingang gelaufen. Erklärte dem Mitarbeiter, dass mir nicht gut sei und ich an die frische Luft müsse, ob die Eintrittskarte gültig bliebe und ich meinen Audioguide bei ihm lagern dürfe? Er schenkte mir eine kleine Flasche Wasser und gab mir zwei Traubenzucker.

Stellte mich dann nach draußen. Jacke auf, eiskalte Luft, ordentlich das Hirn freiwehen lassen. Tief durchatmen, Finger über die Nasenwurzel (drittes Auge), Gedanken abschalten, wieder klar werden im Kopf. Versuchen, all die tausend Reize irgendwie loszuwerden. Ein paar Minuten standen wir draußen, ich aß den Traubenzucker, trank das Wasser, wurde innerlich wieder ruhiger. 

Dann gingen wir zurück in die Ausstellung. Ganz so fit wie am Anfang war ich natürlich nicht mehr. Um mich komplett zu regenerieren bräuchte ich ein paar Stunden in einem abgedunkelten geräuschfreien Raum, ganz wie bei einer Migräne. Aber ich war immerhin so fit, dass ich mir den Rest des Museums auch ansehen konnte. Nicht mehr ganz so konzentriert wie am Anfang, aber immerhin noch so, dass ich viele Eindrücke mit nach Hause nehmen konnte und alles gesehen habe, was mir wichtig war. Weitere eineinhalb Stunden hielt ich aus, und das ist wirklich prima und selbst für Leute ohne dieses Problem eine ordentliche Zeit. 

Ich bin ein bisschen stolz, dass ich es diesmal so gut gemeistert habe ohne ein Drama draus zu machen, ohne dass Außenstehende etwas mitbekommen haben und ohne dass ich mich hinterher über mich selbst ärgern musste. Lief diesmal wirklich super!

2heartedman 10.01.2015, 10.49

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Kommentare zu diesem Beitrag

2. von tabakbart

spannend! - und gz zur Bewältigung!

vom 19.01.2015, 06.37
Antwort von 2heartedman:

Nicht wundern, durch die redaktionelle Freischaltung dauert es ein wenig, bis das Kommentar sichtbar ist, das ist normal ;-)
1. von tabakbart

spannend! - und gz zur Bewältigung!

vom 16.01.2015, 06.37
Antwort von 2heartedman:

Danke :-)