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Ausgewählter Beitrag

Privatsphäre

Etwas, das sich deutlich verändert hat während meiner Transition ist mein Verhältnis zu meiner Privatsphäre.

Das wird mir oft bewusst: zB, wenn ich in alten Blog- oder Forumsbeiträgen lese. Wenn ich Bücher von anderen Trans*Personen lese, die ihren Werdegang schildern und deutlich zurückhaltender sind als ich damals. Und vor allem, wenn ich in eine Situation gerate, in der ich meine Privatsphäre nun im Gegensatz zu damals schützen möchte.

Seit frühester Kindheit wuchs ich nach der Scheidung meiner Eltern bei den Großeltern auf. Seitdem waren Sozialarbeiter, Richter, Gutachter und Therapeuten für meinen Alltag eine Selbstverständlichkeit. Bis kurz vor der Transition war ich ja ständig auf irgend jemanden angewiesen, hatte Probleme, suchte Hilfe, wurde nicht angenommen von Ärzten / Therapeuten, empfand ich als untherapierbar und rannte von einem zum anderen, um endlich dieses noch nicht greifbare Leid irgendwie aufzulösen. Ich kann mich gar nicht erinnern, dass es jemals anders war. Den Ärzten, Therapeuten, Sozialarbeitern zu erzählen, was sie hören wollten, das habe ich von klein auf gelernt. 

"Erzählen, was sie hören wollten" klingt abwertend. Aber sie haben eben nur ihren Job gemacht. Manche herausragend, andere weniger gut. Manchen konnte ich mich anvertrauen. Anderen habe ich bewusst Dinge erzählt, die man eben in dieser Situation so erzählt, um nicht die Wahrheit zu sagen. Manchmal habe ich das bewusst getan, manchmal ungewollt als Schutzmechanismus. Herrjeh, ich war ein Kind, ein Jugendlicher, mitten in der Pubertät und genervt von allem. 

Was ich wirklich wollte, hat meinem Empfinden nach niemanden wirklich interessert. Ich fühlte mich nicht persönlich wahrgenommen sondern einfach nur als Mandant, Klient, zu betreuendes Kind. Irgendwann habe ich einfach drauf los geredet. Weil ich merkte, dass es völlig egal ist, was ich sage, solange es meinem Ziel nicht schadet. Damals war das Ziel, bei den Großeltern zu wohnen, den Vater regelmässig zu sehen, die Mutter nicht ganz so oft, Fördergelder zu erhalten für Musikunterricht und Klassenfahrten. 

Ich weiß nicht, wie oft ich mein Leben erzählt habe. Wie oft ich Dinge immer und immer wieder erzählt habe, bis ich mich nicht mehr damit identifizieren konnte, sondern es nur noch eine Erzählung war, die ich stets aufs Neue vortrug, wannimmer es jemand hören wollte. Wer weiß, ob durch das zigfache Erzählen nicht vielleicht sogar meine Erinnerung getrübt wurde, wenn ich die Dinge irgendwann immer mehr ausschmückte. Keine Ahnung, ich bin über 40, in so vielen Jahren passiert eine Menge, an das man sich nicht mehr genau erinnert. Von damals zu erzählen ist mir auch heute noch völlig egal, es ist vorbei, und ich kann mich damit stellenweise überhaupt nicht mehr identifizieren, zu oft schon habe ich es erzählen müssen.

Für die Transition war das sehr hilfreich. Die Gutachtergespräche, das Psychologengespräch, die anfänglichen Therapiesitzungen, der Lebenslauf. Das alles ging so locker von der Hand wie Kuchenbacken. Die Gespräche waren mir ein Leichtes. Fragen zu intimen Details, private Erlebnisse, geheime Erinnerungen und Sehnsüchte, raus damit, ich habe so etwas noch nie für mich selbst besessen, war immer gezwungen es zu teilen.

Inzwischen ist das anders. Es ist MEIN Privatleben. Was damals war, das ist vergangen, das darf haben wer will. Was heute passiert, wer ich heute bin, das bin ich. Das ist privat. Ich blogge, aber wesentlich eingeschränkter als früher. Würde ich heute einem Gutachter gegenüberstehen, empfände ich das als äußerst unangenehm, und ich würde ihm nur widerwillig irgend etwas aus meinem Leben preisgeben. Müsste ich, der ich heute bin, noch einmal den gleichen Weg gehen, mich ebenso entblößen müssten, wäre das kein Kuchenbacken mehr sondern eine verdammt unangenehme, übergriffige und konfliktbeladene Situation, die ich gezwungenermaßen hinter mich brächte.

Als ich damals offen alles herumerzählt habe, fühlte sich das okay und normal an. Heute ist mir klar, dass das nicht wirklich ok und normal war. Ich bin dankbar, dass ich inzwischen so etwas wie eine Privatsphäre habe, die ich schützen darf. Und diese Privatsphäre gehört alleine mir. 

Viele Menschen müssen lernen, sich zu öffnen. Ich musste lernen, dass ich mich verschließen darf. Und es fühlt sich verdammt gut an!

2heartedman 06.06.2020, 14.13

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