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Passing in Deutschland - ein Albtraum

Wie in letzter Zeit schon mehrfach gesagt, mein Passing in Deutschland lässt momentan absolut zu wünschen übrig. Habe das Gefühl, dass es sogar wieder etwas schlechter geworden ist. Würde ich jedes Mal davon schreiben, wäre mein Blog nur noch mit diesem Thema gefüllt. Statt dessen hier mal ein "Worst of" der letzten Wochen :(


Dönerbude. Miusgrade, Fahrradklamotten. Mütze tief ins Gesicht. Schal über das ganze Kinn. Fette Jacke. Ich redete kein Wort. Verkäufer kommt auf mich zu, sagt "junge Frau, Sie wünschen?" Hatte danach fast keinen Appettit mehr ... 

Streetwork, Schwulenkneipe. Ein Ort, wo genügend Männer rumlaufen, die nicht dem männlich-derben Klischee entsprechen. Wir stehen am Tresen, Barmann kommt: "und für die Lady?" Danke auch *motz*. Da wenig los war und es ein aufgeschlossener Ort war, fragte ich mal, wie er darauf käme, dass ich ´ne Frau sei. Er konnte es nicht sagen, meinte "keine Ahnung, gesehen hab ich es nicht, mehr so ein Gefühl. Aber vielleicht die Augen". Sagte ein Mann, der ´ne höhere Stimme hat als ich, der total weiche Gesichtszüge und sehr ausdrucksstarke melancholische Augen hat. Müssen meine Augen Todesblitze verschießen, um männlich zu sein? 

Schwuler Sexshop. Hatte dort vor einiger Zeit ´ne Anfrage wegen eines Toys für Transmänner. Außerdem bin ich auf Arbeit regelmässig dort und wurde als männlicher Kollege mit männlichem Namen vorgestellt. Was den Verkäufer nicht davon abhält, ständig als "sie" in der dritten Person von mir zu reden, wenn er mit meinem Kollegen spricht. Oder Sachen zu sagen wie "wir Männer" und "ihr Frauen". Er weiß verdammt noch mal, dass ich ein Transmann bin. Seine Sammelbestellung kann er knicken, hab echt keine Lust mehr auf diesen Laden *grml* ... 

Bar, ich stehe mit dem Kollegen am Tresen, sagt einer tatsächlich "lass sie mal vorbei" und zeigt auf mich. Obwohl ich mich wenige Sekunden zuvor als männlich vorgestellt habe. Manchmal denke ich, dass die Leute, die Toleranz von anderen einfordern, ziemlich blind darin sein können, diese anderen entgegenzubringen. Was ich sehr traurig finde. 

Streetwork, Gay-Sauna. Waren schon mehrfach dort. Habe mich immer als männlich vorgestellt und bin dort als männlich bekannt. Darf diesen Ort sogar betreten (weibliche Praktikantin muss draußen bleiben). Dachte also, man würde mich als Mann anerkennen. Bis mir nach zig Besuchen der Inhaber plötzlich sagt, dass er hier zwar arbeitet aber hetero sei. Und mich dann indirekt sogar noch anmacht! Ich erkläre ihm, dass ich ein Transmann bin. Und bevorzugt auf Männer stehe. Was ihn irritiert und zu einem "na klar, sowas passiert immer mir" verleitet. Und meint dann hintendrein noch, dass er aber ja gesehen hätte, dass ich weiblich geboren bin, sonst hätte es bei ihm ja nicht gefunkt, weil er steht halt eindeutig nur auf Frauen. Toll. Schätze, das war ein Kompliment. Auf das ich gernen verzichtet hätte. 

Weihnachtsfeier auf Arbeit, dort wo ich Nebenjob mache. Traf an dem Abend auf haufenweise Leute, mit denen ich im Alltag nie zu tun habe und die mich nicht kennen. Mittendrin haute eine der Frauen zu meinem Kollegen raus "Du hier als einziger Mann usw". Sie saß mir seit zwei Stunden gegenüber, und ich hatte mich auch als männlich vorgestellt und wurde von den anderen auch durchgehend als männlich angesprochen. 

Frisch von England zurück, superhappy über all die tollen Passing-Momente. Dann wieder in Deutschland. Ich rufe bei einer Hotline an. Nenne meinen männlichen Namen. Meine Kundennummer, sie sieht mein männliches Profil vor sich. Unterhält sich mehrere Minuten mit mir. Zwei Minuten nach dem Telefonat habe ich das Mail mit dem versprochen Link zum Software-Update im Postfach. Adressiert an "Frau Salamander". 

Gehe zum Radiologen. Gebe meine männliche Karte ab. Trage die exakt identischen Klamotten wie ein paar Tage zuvor in London (wo ich durchgehend als Mann angesprochen wurde). Fülle den Anamnesebogen aus. Gebe ihn zurück. Die Dame guckt kurz drauf, nimmt ihn nicht an, schiebt ihn zurück, sagt "hier, das müssen Sie noch ausfüllen" und zeigt auf den Abschnitt, der sich explizit an Frauen richtig bzgl aktueller Schwangerschaft und Zyklus. 

Supermarkt. Reiche meine EC-Karte hin zum Bezahlen. Kassiererin guckt die Karte an, guckt mich an, sagt "äh, ist das die richtige?" Ich war total irritiert. Manchmal ziehe ich versehentlich die Gesundheitskarte statt der EC-Karte, oder hab schon mal den Ausweis vom Fitness-Studio in der Hand gehalten. Gucke nochmal hin, neeee, war die EC-Karte, alles okay. Sie sieht mich an, mustert mich von oben bis unten "aber ich kenne Sascha nur als Männername, das ist doch nicht Ihre Karte?"

*****

Anmerkung: viele der negativen Momente hier sind geschehen an Orten, wo man eigentlich davon ausgehen sollte, dass Menschen sensibilisiert sind. An Regenbogen-Orten sollte man wissen, dass es neben Mann und Frau auch noch Trans, Inter, Non-Binär, Genderqueer und whatever gibt. Sollte man wissen, dass eine Butch und ein Transmann und eine Transfrau sich optisch vielleicht gar nicht sosehr entscheiden und eine gegenderte Anrede dazu führen kann, dass die Person sich unwohl fühlt. Ich mache keinem einen Vorwurf. Der Dame im Supermarkt und dem Dönermann sowieso nicht. Aber bei Ärzten, die oft mit Hormonen zu tun haben, in queeren Bars, bei einem queeren Arbeitgeber - da würde ich mir schon ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl wünschen ... 

In London ließ man in Soho die Anrede einfach weg. Da wurde ich nicht gegendert, und ich fühlte mich sehr wohl, empfand das als sehr respektvoll. In Deutschland dagegen sind es gerade oft diese Orte, wo ich umso rücksichtsloser falsch angesprochen werde. Irgendwie traurig und sehr aussagekräftig :(

2heartedman 13.01.2017, 20.11

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Kommentare zu diesem Beitrag

2. von Ellen

Hallo Sascha,

es tut mir wirklich leid, dass Du sowas erleben musst. Ich hoffe Du lässt Dich davon nicht entmutigen und nimmst es Dir nicht so sehr zu herzen. Es gibt halt immer wieder blöde Menschen. Wobei es eigentlich noch unverständlicher ist, wenn das mißgendern von Leuten aus der LSBTQ Ecke kommt. Wie Du schon sagst, die sollten dafür eigentlich sensibilisiert sein. :(

Liebe Grüße
Ellen

vom 15.01.2017, 14.05
Antwort von 2heartedman:

an manchen Tagen nehme ich es mir mehr, an anderen weniger zu Herzen, hängt von vielen Umständen ab. Aber es härtet irgendwie auch ab. Man merkt im Alltag oft gar nicht, wiesehr die Meinung anderer einen selbst beeinflusst und wiesehr man doch versucht zu gefallen, glaube wer sich nicht sosehr mit seiner Identität auseinandersetzen muss wie wir, ist sich dessen gar nicht bewusst, weil es oft unterschwellig läuft ... insofern ist es ein harter aber auch ziemlich wichtiger Lernprozess, unabhängig von der Bestätigung anderer zu leben ...
1. von Tinka

Ich glaube, dass so viele dich deswegen falsch gendern, vor allem, wenn sie in der dritten Person von dir reden, weil sie eine ganz andere Grundannahme haben. Vielleicht denken sie nicht "Sascha ist ein Mann, der mit dem Körper einer Frau geboren wurde.", sondern "Sascha ist eine Frau, die ein Mann sein will, und weil wir so tolerant sind, tun wir ihr den Gefallen und reden sie als Mann an, aber eigentlich ist sie eine Frau."

Ich bin auf den Gedanken gekommen, weil eine Freundin letztens von irgendeiner Doku über einen Transmann erzählt hat. Da ist allerdings am Anfang die ganze Zeit das Pronomen "sie" verwendet hat, habe ich (scheinbar als einzige) überhaupt nicht gecheckt, dass es um einen Transmann geht. Als ich deswegen nachgefragt habe, wurde mir dann groß und breit erklärt, was transsexuell ist. Und erst, als ich dann konsequent und mit Betonung das Pronomen "er" bei weiteren Fragen verwendet habe, haben die anderen es auch verwendet.

Ich wünsche dir, dass du bald bessere Passingerfolge in Deutschland hast! Und ich hoffe, dass die Menschen sensibler werden! Dass Menschen, die wissen, dass du ein Transmann bist und die dich auch als Mann anreden, in der dritten Person als Frau von dir reden, geht gar nicht, finde ich.

vom 14.01.2017, 11.27
Antwort von 2heartedman:

Bei denen, die mich kennen, kann ich das durchaus verstehen. Und wie Du sagst, gerade in den Medien und der Literatur begegnet mir diese Formulierung leider sehr oft. Das ist etwas, wo man tatsächlich in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit noch arbeiten muss ...

Warum es bei denen nicht klappt, die mich noch nie gesehen haben und nicht kennen, werde ich wohl nie beantwortet kriegen ... 

es heißt leider einfach Geduld haben ...