two hearted man
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Der Vorhof der Hölle

Wartezimmer waren mir schon immer ein Graus. Früher blieb ich sitzen und drehte am Rad, wurde aggressiv und pampfte den armen Arzt anschließend an. So viele Menschen, Eindrücke, Gerüche, Geräusche, das ist zuviel. Zumal Wartezimmer eine Brutstätte an menschlichen Emotionen sind, die über mich hinwegrollen. 


Später lernte ich, dass ich besser spazieren gehe. Wenn ich sehe, dass das Wartezimmer voll ist (also mehr als ein, zwei Leute), frage ich, wie lange es in etwa dauert. Die Empfangsdame nennt mir grob eine Zeit, und dann gehe ich noch fünf, fünfzehn, dreißig Minuten spazieren, damit ich rechtzeitig wieder da bin. Und falls ich immer noch warten muss, stelle ich mich irgendwo in den Flur, wo ich nicht im Weg stehe aber alleine bin.

Der Flur hier war schon arg schmal, das ging nicht. Und ich glaube, die Empfangsdame war etwas pikiert und unsicher, ob ich rechtzeitig wieder da sei, sie vertraute mir scheinbar nicht. Ich hatte die Befürchtung, dass "ich geh mal kurz" gleichbedeutend für sie wäre mit "ich sag den Termin ab". Also blieb ich. 

Strategie Nr 1: "wo ist die Toilette". Dort mal einige Zeit verbracht und durchgeatmet. Dann ins Wartezimmer. War schon hübsch gemacht, kann man nichts sagen. Trotzdem: Menschen! Reize! Hut ins Gesicht gezogen, Blick zielgerichtet auf den Stuhl, hingesetzt, in der Tasche gekruschelt, Tablet rausgeholt und sofort losgelegt mit einem Zahlenrätsel, das lenkt ab und hilft zu fokussieren.  

Anfangs klappte es recht gut. Aber entweder, die Reize wurden mehr, oder mein Filter wurde schlechter. Ein kleines Kind fing an ständig in der Tüte zu rascheln, kaute auf den krachenden Chips rum. Die Mutter machte für die Kleine ein Tablet mit irgendeinem Disney Lernfilmchen an (irgendwie fühlte ich mich belästigt, ich wollte diese hohen Mickey- und Donaldstimmen nicht hören in dem Moment), ständig klingelte das Telefon in einem nervigen Ton und die Empfangsdame ging nicht sofort ran, zwischendurch die durchdringende Klingel an der Tür, dann ratterte der Drucker, es wurde immer mehr, alles zugleich, immer lauter, es erdrückte mich regelrecht!

Notfallplan: Zusäzlich zum Tablet, mit dem ich die Konzentration fokussiere, kommen die Stöpsel ins Ohr. Musik aufdrehen, damit ich die Umwelt nicht mehr höre. Ich habe schon häufiger überlegt, ob ich mir irgendwann eine Art weißes Rauschen auf den Player packe, das einfach übertönt aber nicht ablenkt. Hoffentlich fragt dann keiner "was hörst´n?", die Antwort wäre irritierend. Aber ich habe tatächlich eine App mit verschiedenem Rauschen, auch Fön, Rauschen, Tastaturtippen, Windgeräusche, Regenprasseln. Mal sehen, ob die offline verfügbar ist, wenn ich unterwegs bin.

Auch blöd: ich hasse es, in geschlossenen Räumen von der Umwelt abgeschottet zu sein. Abends im Bett, oder wenn ich im Wartezimmer aufgerufen werde, wenn ich in einer fremden Stadt auf die Durchsage der Bahnstationen angewiesen bin, dann werde ich mit Kopfhörern extrem nervös. Hatte heute Angst, dass der Arzt mich aufruft und ich nicht reagiere und übergangen werde. Völlig absurd, aber wenn alles logisch wäre, wo blieben da die Überraschungen und der Fun? 

Jedenfalls bin ich dankbar, dass ich jetzt zu Hause sitze. Eine angenehm temperierte Wohnung, kein Radio, kein Fernseher, mein Schatz trägt mir zuliebe Kopfhörer am Computer, und die Wohngegend ist angenehm spießig-ruhig (wenn nicht gerade die Trompetenschnäbler auf dem See nachts um drei vor dem Fenster balzen oder der Hausmeister die Büsche mit der Kettensäge massakriert). My Home is my Castle!

2heartedman 03.03.2015, 18.51

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