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Ausgewählter Beitrag

Das schönste Weihnachtsgeschenk

An Weihnachten hatte ich ein sehr schönes Erlebnis. Auch, wenn ich erst einige Tage später davon erfahren habe ;-)

Sorry, aber um die Tragweite verständlich zu machen, muss ich etwas ausholen:

Opa ist inzwischen gestorben, Oma ist allein. Ihre Tochter (meine Tante) besucht sie regelmäßig dort im Heim, und das Telefon wollte Oma ohne Hilfe nicht nutzen (trotz großer Seniorentasten, trotz Hilfe durch Schwestern). Daher habe ich schon lange nicht mehr mit ihr gesprochen. 

Die letzten Gespräche, als sie noch ein Telefon hatte und ich anrufen konnte, waren sehr unangenehm. Ich konnte nicht mehr offen über meinen Alltag reden, weil sie immer ablehnender wurde. Es gelang ihr, bei nahezu jedem Thema einen Bezug dazu zu finden, warum "eine Frau das nicht tut" oder "es unnatürlich sei". Und immer häufiger betonte sie, dass ich "ihr Mädchen" sei, und so weiter. Sie schien zu spüren, dass ich mich verändere, sie wollte es nicht wahrhaben, und sie drängte mich immer mehr in die Ecke. Wenn ich mich outen wollte, brach sie zuvor das Gespräch ab oder schalt mich als albern und töricht, sie wollte es nicht hören. Am Ende sagte ich gar nichts mehr. Sagte "das Wetter ist schön, die Katze schläft den ganzen Tag, auf Arbeit läuft alles gut, ansonsten gibt es nichts weiter zu erzählen". 

Das hat mich sehr verletzt. Und auch immer mehr von ihr entfernt. Denn sie hat mich großgezogen. Mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Nicht alles war gut, aber ich habe ihr sehr viel zu verdanken. Und auch, wenn ich inzwischen erwachsen bin und meinen eigenen Weg gehe, hätte es mir sehr viel bedeutet, dass sie hinter mir steht. Aber das konnte ich natürlich nicht erzwingen. 

Da sie dement wurde und immer häufiger Momente hat, in denen sie nicht klar ist, habe ich es irgendwann aufgegeben. Inzwischen hat sie keinerlei Zugang mehr zu meinem Leben. Dass ich eine Freundin habe, was ich arbeite, womit ich meinen Alltag verbringe, was mir wichtig ist. Sie lebt eben in der Vergangenheit. Sie ist dement, sie ist alt, und es ist ihr gutes Recht, in der guten alten Zeit zu leben (in der ich noch ein Mädchen war, gute Noten schrieb und brav zur Kirche ging. Ein Mädchen, auf das man stolz sein konnte). 

Meine Tante weiß Bescheid, für sie ist das kein Thema, es gibt in unserer Familie wirklich andere Probleme als meine Transition. Im Grunde waren eh alle Verwandten väterlicherseits der Ansicht "war doch von Beginn an klar, endlich lebst Du es richtig aus". Man nennt mich bei männlichem Namen, fertig.

An Weihnachten war sie zu Besuch bei meiner Tante. Dort hatte sie natürlich ein Telefon. Und weil ich weiß, wie viel es Oma bedeutete (ja, okay, auch mir), haben wir telefoniert. Da ich nicht geoutet war, war das ein ziemlicher Spießrutenlauf. Meine Tante nannte mich Oma wegen wieder bei weiblichem Namen. Es war ungewohnt, es tat weh, und es war einfach nur unangenehm. Und wieder wusste ich nicht, was ich erzählen soll. Nun ja, ging vorbei. Vergessen, vorbei. Erledigt, abgehakt, fertig. 

Erst vor wenigen Tagen sprach ich mit meinem Onkel. Und von ihm erfuhr ich, dass meine Oma nach dem Telefonat meinte, sie habe nicht mit mir sondern einem Mann telefoniert. Das war dann endlich der passende Moment: meine Tante erklärte es ihr. Und Oma nahm es wohl recht gefasst auf. Meinte, das habe ich ja schon immer gewollt, und es sei gut so. 

Inzwischen ist sie wohl an einem Punkt im Leben, an dem es sich nicht mehr lohnt, sich etwas vorzumachen. An dem sie beginnt, die Dinge einfach anzunehmen. Oder was auch immer. Ich weiß es nicht. Aber ich freue mich. Denn in diesem Moment war sie klar, und sie hat mich angenommen, wie ich bin. Nach 20 Jahren, in denen wir täglich darum gekämpft haben. Nach weiteren 20 Jahren, in denen der Kontakt immer weniger wurde, weil sie diesen Teil von mir ablehnte. Nach insgesamt 40 Jahren, in denen sie mich nie wirklich gesehen hat sondern immer nur ihr Idealbild von mir. 

Ich machte die Transition auch ohne ihren Segen. Aber ich freue mich, dass ich ihn jetzt quasi habe. Vielleicht hat sie es wieder vergessen, wenn wir das nächste Mal miteinander reden. Vielleicht erkennt sie mich nicht. Aber ich weiß, dass sie es endlich angenommen hat. 

Und nebenbei - es war mein allererstes Telefonpassing ;-) 
Noch immer werde ich am Telefon ständig als Frau angesprochen, wurde meine Stimme außer von ihr noch kein einziges Mal als männlich wahrgenommen. Dass gerade sie es war, die mich das erste Mal als Mann erkannte, bedeutet mir sehr viel ... 

2heartedman 14.01.2018, 22.01

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