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Ausgewählter Beitrag

Das Geschenk, den eigenen Körper zu spüren

Immer mehr wird mir bewusst, was für ein Geschenk es ist, seinen Körper zu spüren, ihn wahrzunehmen und ihn auch zu verstehen.

Klar kannte ich früher Schmerz, wenn ich mit dem Motorrad gestürzt bin und mir etwas geprellt habe. Oder wusste, dass es angenehm ist, wenn mein Mann damals mit seinen Fingern über meine Haut fuhr. Aber diese klassischen Sachen, die man ziemlich genau benennen kann bzgl Reiz / Reaktion, waren auch fast das Einzige.

Vor Testo, genaugenommen bis vor der Mastek, war mir mein Körper egal. Und ich habe ihn ziemlich weit über die Grenzen belastet. Ich habe getan, worauf ich Bock hatte, und das konnte unter Umständen auch bedeuten, dass mein Körper dabei verletzt wurde, dass ich ihn zu heftig beanspruchte, und dass ich seine Signale nicht deuten konnte oder wollte.

Das Training in der Fitnessbude unter Aufsicht von gschultem Personal, begleitet durch einen Orthopäden, war der Einstieg. Den Körper bewusst, langsam und achtsam belasten, an die Grenzen bringen, diese Grenzen spüren, erkennen und wahren (müssen). Ohne dem Körper damit zu schaden, sondern ihn im Gegenteil noch aufzubauen. Und auch vom Trainer gesagt bekommen "hör mal, mag ja sein, dass Du das willst und vermeintlich kannst, aber mach mal halblang, sonst wirst Du Dir auf Dauer schaden".

Vor Testo wäre das Training in der Form nicht möglich gewesen. Frauen-Umkleide, wie eine Frau behandelt zu werden (ich habe Schulsport diesbezüglich gehasst, obwohl ich Sport an sich liebte), Brüste überall im Weg. Erst durch das Anerkanntwerden als Mann konnte ich mich darauf einlassen, und ich war baff, wo ich plötzlich im Alltag überall meinen Körper wahrnehmen konnte. So langsam kam ein Gefühl für "das tut gut", für die Unterschiede zwischen "positivem" und "negativem" Empfinden.

Trotzdem erfordert es Übung, den Körper kennenzulernen. Zu erkennen, was er mir sagen will, ist für mich harte Arbeit. Markantestes Beispiel wohl die Szene, als ich zur Ärztin gehe, nach den seltsamen Punkten am Bein frage und sie mich tadelt, warum ich so lange gewartet habe, bis die Gürtelrose verheilt ist. Als sie mir das diagnostizierte, machte es "klick" im Kopf: dieses komische Gefühl, warum ich nachts nicht schlafen konnte und warum ich tagsüber keine Hose mehr tragen will und warum es beim Sport so unangenehm war, das war also "Schmerz". Fast schon analytisch heranzugehen und das zu erfahren, um es für später abzuspeichern, damit ich das einordnen kann, wenn es mal wieder wehtut. Wieder was gelernt. 

Kurz gesagt - Reiz / Reaktion ist klar: heiße Herdplatte tut weh. Sturz von Bike auf Straße tut weh. Aber Reaktion ohne ersichtlichen Reiz, zB Schmerz ohne sichtbaren Auslöser, das konnte ich nicht zuordnen.

Vor der Mastektomie ließ ich mir vom Arzt ganz genau beschreiben, was ich während der Schonung tun darf und was nicht. Er sagte nur "hören Sie auf ihren Körper". Ich sagte "das kann ich nicht, ich verstehe ihn nicht", und dann hat er mir ausführlich alles erklärt. Dafür war ich ihm sehr dankbar. Ich habe mich in dieser Zeit zu Hause bemüht, auf mich zu achten. Seine Erklärung war für mich eine große Hilfe. Und schrittweise hat es dann auch geklappt: wenn ich zu schnell lief, pulsierte es in der Wunde. Wenn ich etwas zu Schweres hob, spannte es. Nach und nach habe ich gelernt, was das jeweils bedeutet.

Dieses Mal zur OP habe ich nur nebenbei nach Schwimmen, Fahrrad, Trampolin gefragt. Und gefragt, ob es okay ist, wenn ich bzgl Schonung auf den Körper höre. Der Arzt nickte, meinte "jup, der Körper weiß das selbst am besten".

Seitdem ist es immer besser geworden. Es mag für Außenstehende vielleicht banal klingen, wenn ich sage, wie unglaublich dankbar ich dafür bin, wenn ich Schmerz oder Unwohlsein spüre (und erkenne). Aber für mich ist das wirklich ein Geschenk!

Ein paar Tage nach der OP habe ich den Staubsauger aus dem Schrank geholt. Okay, ich darf mehrere Wochen keine 5 Kg heben. Aber ist ja nicht so, dass bei 4,9 alles okay ist und bei 5,1 mein Kreislauf kollabiert. Und, wer weiß schon, wieviel Kg der Staubsauger zu Hause wiegt?

Habe das Teil also aus dem Schrank auf den Boden gestellt. Und gespürt "okay, besser noch nicht". Habe ihn dann, statt ihn wie sonst ins nächste Zimmer zu tragen gerollt. Das ist ein so banaler Handgriff. Und trotzdem bin ich meinem Körper und mir dankbar. Meinem Körper, dass er sagt "neeee, bitte nicht, lass mal". Und mir, dass ich auf ihn höre. Früher hätte ich gemerkt "ui, schwer" aber hätte gesagt "ich bin stark, wär doch gelacht" und hätte das Ding aus Trotz erst recht getragen.

Ich sitze hier und freue mich. Darüber, dass ich spüre, wenn mein Körper mir Grenzen setzt. Darüber, dass ich spüre, wie der Körper von Tag zu Tag heilt und mir zu verstehen gibt "geht wieder". Es ist schön, wie mein Körper und ich zusammenwachsen. Wie wir miteinander kommunizieren, aufeinander achten und füreinander da sind.

Auch das Thema Hunger konnte ich in den Griff kriegen. Aber das hat in dem Fall nichts mit der Transition zu tun, sondern eher mit einer veränderten Ernährung. Bzw, insofern mit der Transition, als es mir früher egal war, ob ich dick war oder mich wohlfühlte. Passend zu Testostart fing ich ja an, mich intensiv mit Ernährung zu befassen. Mit Nährstoffen, Kalorien, Heißhungerattacken, Fressanfällen (weil viele nach Testostart damit zu kämpfen hatten und ich das vermeiden wollte).

Seit ich weiß, welche Nährstoffe mein Körper benötigt, achte ich besser darauf, was und wieviel ich mir zuführe. Dadurch habe ich weniger Heißhunger, kann gelegentliche Fressanfälle (wer hat die nicht, das ist menschlich bei Stress oder Familienfeiern LOL) gut ausgleichen. Ich bin nicht mehr wie früher den ganzen Tag dabei, etwas in mich reinzustopfen (schöne Metapher, hier aber wörtlich gemeint). Statt dessen bewusst und gezielt meine Mahlzeiten.

Ich weiß inzwischen, wann ich satt bin und kann tatsächlich auch mal "stop" sagen, das Essen beiseite stellen und ein paar Stunden später erst weiter essen. Ich spüre, wenn ich Hunger bekomme und wie sich das anfühlt.

Es ist toll! Hunger, Schmerz, Wohlgefühl, erotisches Kribbeln, all diese Dinge sind ein Geschenk, und ich genieße es. Und ich habe ein bisschen die Hoffnung, dass es nach der OP jetzt noch besser wird. Dass die körperlichen Reaktionen dann auch zur jeweiligen Situation passen (Pulsrasen, Schwitzen, Atemnot usw also bitte nur noch bei Sport, Stress oder Chilipaste statt einfach so aus dem Nichts). Mal sehen, wie sich das weiter entwickelt :-)

2heartedman 24.03.2019, 09.30

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