two hearted man
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Corona-Friese

Da hätte ich also Friseurtermin gehabt, einen Tag nachdem der Laden schließen musste. Also durfte ich die Mähne 15 Wochen lang wachsen lassen. Interessant, wie meine Selbstwahrnehmung sich dadurch wieder verändert hat!

Ja, ich bin eitel. Daher hat es schon etwas gekratzt, dass der Schnitt herausgewachsen ist und ich nicht mehr so gut frisieren konnte. Aber es gab wirklich wichtigere Probleme für uns alle, daher störte mich das nicht. 

Erstaunlich aber: beim Blick in den Spiegel sehe ich seit gefühlt endloser Zeit ausschließlich einen Mann. Die Phase, in der das Bild kippte oder unklar war für mich, ist lange vorbei. Kein Gedanke mehr an die Frau, die ich äußerlich einmal war. Ich denke gar nicht mehr darüber nach, es es ist Alltag und aus meinem bewussten Denken verschwunden. 

Umso überraschter war ich, als ich mein Spiegelbild ansah und wieder eine Frau vor mir stand. Ich sah zweimal hin. Und noch einmal. Fühlte mich sehr unwohl. Die Haare waren nicht über Nacht so lang geworden, dass es weiblich ausgesehen hätte. Aber irgendwo gab es wohl einen Übergang, an dem wieder ein Schalter in meiner Wahrnehmung kippte. 

Es gefiel mir nicht mehr, in den Spiegel zu blicken. Ich musste mich wirklich zusammenreißen bei der Morgentoilette. Und immer wieder musste ich mir rational ganz bewusst sagen, dass das nur Einbildung war. Ich hatte das selbe Gesicht wie am Vortag, ich hatte einen Bart, ich hatte 100 Prozent Passing im Alltag. Mein Gesicht war nicht über Nacht mutiert. 

Die Haare wuchsen über die Ohren, Deckhaar und Pony wurden länger, der Nacken wurde wieder bewachsen. Dadurch wirkte es alles etwas weicher. Und dadurch erinnerte ich mich immer wieder an mein früheres Spiegelbild. 

Auf der Straße begann ich plötzlich wieder Gerede zu hören. Ein Kind, das sagte "ein Mann oder eine Frau?", Leute die mich ansahen. Das war Einbildung, das Kind sah mich gar nicht an sondern schien über etwas anderes zu reden. Die Leute blickten auf meine Maske (ich trug ein auffälliges Design). Aber plötzlich war wieder die alte Angst da, das Gefühl beobachtet zu werden. Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich mit diesem Thema schon lange durch bin. Scheinbar gibt es da trotzdem noch alte Wunden und unverarbeitete Gefühle, die wieder aufgeploppt sind. 

Rein rational kein Grund für diese Gefühle, aber emotional total seltsam. Ich mache doch meine Männlichkeit nicht an Haarlänge oder Kleidung fest! Ich zelebriere es, das ja, aber ich definiere mich nicht darüber. Im Gegenteil: ich genieße es, unmännliche Dinge zu tragen im Alltag zu tragen, als Statement und weil ich meine Männlichkeit dadurch nicht bedroht sehe. In solchen Momenten werde ich als femininer Mann gelesen, vielleicht als schwul, als Crossdresser oder was auch immer, aber auf jeden Fall als Mann. Dass das plötzlich wieder infrage gestellt wurde (vermeintlich) war verdammt schmerzhaft. 

Ich ärgere mich ein bisschen über mich selbst, dass ich an diesem Punkt scheinbar noch so verletzlich bin. Aber es wäre ja langweilig, wenn ich nichts mehr hätte, an dem ich wachsen und reifen kann ;-)

Und zum Glück ist dieses Thema jetzt erstmal Geschichte. Mein Friseur hat mir eine neue Frisur geschnitten. Denn wenn es schon gewachsen ist, kann ich ja was draus machen. Ich trage das Deckhaar nun etwas länger, die Seiten als (leichten, unauffälligen) Undercut kurz. Ebenfalls ein klassischer Herrenschnitt, und es gefällt mir sehr gut.

Meine Männlichkeit ist wieder hergestellt. Ach, wenn doch alles so einfach wäre ;-)

2heartedman 06.06.2020, 14.00

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