two hearted man
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Besuch bei Oma

Während meines Urlaubs habe ich meine Oma im Heim besucht. 
Sie: dement, unzufrieden
Ich: ungeoutet, vorbelastet, besorgt


Wobei, "ungeoutet" ist nur so halb wahr. Denn meine Oma hatte am Telefon kürzlich einen jungen Mann gehört, keine Frau. Also hat meine Tante ihr das anschließend erklärt. Und erstaunlicherweise fand Oma das in Ordnung, "soll doch jeder machen, was er mag". Die Weisheit des Alters, für einen kurzen Moment. Ich war selig, denn sie war als Kind meine wichtigste Bezugsperson, und ihr "Segen" bedeutet mir sehr viel. 

Trotzdem war ich enorm unsicher. Sie ist schließlich dement, und sie weiß jetzt nicht mehr, was sie vor zehn Minuten gesagt hat. Meine Tante hat ihr vor meinem Besuch noch einmal erklärt, dass ich jetzt einen anderen Namen trage und ein Mann bin, aber natürlich hat sie das auch wieder vergessen. 

Sosehr ich sie damals geliebt habe, und obwohl sie im Grunde ein wirklich guter Mensch ist, sie hat mir bezüglich des Themas "Junge / Mädchen" eine verdammt harte Zeit beschert. Mich getadelt, mir schreckliche Kleidung aufgezwungen, mich vor anderen gedemütigt, mein Verhalten und mein Auftreten kritisiert, mich immer wieder klein gemacht und als "falsch" hingestellt und versucht mich "richtig zu biegen". 

Als ich auszog, ging das Spiel weiter, nur eben am Telefon. Alles, was nicht in ihr Konzept von "weiblich" passte, wurde niedergemacht, ignoriert, schöngeredet. Selbst banale Aussagen wie "ich war heute im Fitness-Studio" führten zu Antworten wie "Kindchen, eine Frau braucht keine Muskeln! Mach doch nicht so einen Mist! Was sollen denn die Leute denken! Du schaust gut aus, Du bist eine tolle Frau mit einem prima Körper, mach doch sowas nicht!" Je länger ich nicht mehr bei ihr wohnte, desto seltener wurde der Kontakt. Ich wusste einfach nicht mehr, was ich mit ihr reden soll. Weil sie das, was ich sagte, nicht hören wollte und mich stetig kritisierte. 

Trotzdem wollte ich sie wieder einmal besuchen. Ich habe ihr dennoch eine Menge zu verdanken, und ich möchte sie schon noch ein paarmal sehen, bevor es soweit ist. Und ich weiß, dass auch sie sich freut, mich wieder zu sehen. 

Es ist eine verdammt schwierige Situation! Runterschlucken und tun, als wäre ich ihr geliebtes Mädchen? Meinen Stolz, mein Ego einfach mal zum Schweigen bringen und ihr zuliebe ein paar schöne Momente bescheren, in denen ihr süßes kleines Mädchen vor ihr steht? Klingt einfach, sind ja nur zwei drei Stunden. Trotzdem verknotet sich etwas in mir, dass mir allein beim Gedanken daran fast übel wird.

Außerdem geht das ja gar nicht, ich habe keine Frauenstimme mehr. Oma ist inzwischen blind, und anhand der Stimme erkennt sie ihre Mitmenschen. 

Vielleicht hätte sie einen klaren Moment, würde verstehen, wer ich bin und sich darüber freuen. Vielleicht würde ich kommen, und sie würde mich gar nicht erkennen. Sie erkennt auch oft ihre Tochter, ihre Söhne nicht mehr. Sie hält eine der Pflegerinnen aufgrund des Namens vermutlich sogar für mich, deutete meine Tante an. Sie ist eben dement und lebt in ihrer eigenen, kleinen Welt. Wer bin ich, welches Recht habe ich, sie aus dieser Welt herauszuholen und ihr zusätzlich Schmerz zuzufügen?

Sehr blöde Situation. Schon viel zu lange hatte ich mich davor gedrückt. Nun ja, dieses Mal wollte ich nicht mehr ausweichen. Meine Freundin und ich fuhren mit dem Auto die ganze weite Strecke und abends wieder nach Hause. Quasi eine Tagestour. Dazwischen trafen wir zuvor meine Tante. Diese besucht Oma oft, und sie weiß mit ihr umzugehen. Das war eine große Erleichterung für mich. Denn mir alleine wäre es wohl schwergefallen den Ort, die Station, das Zimmer zu finden. Hätte mir Probleme bereitet, sie alleine in den Rollstuhl zu hieven, sie für einen kleinen Ausflug anzukleiden. Ich hätte gar nicht gewusst, was ich mit ihr reden soll. Wie ich Zugang finden soll, falls sie mich nicht erkennt. 

Aber es lief dann alles tatsächlich sehr gut. Meine Tante erklärte ihr, wer ich bin, Oma tat als würde sie es wissen und verstehen (man merkte aber, dass es ihr schwerfiel). Sie sprach immer von "der junge Mann und die zwei Mädchen". Sie erinnerte sich an mich, konnte mich aber dennoch nicht mehr als ihre Lieblingsenkelin zuordnen und speicherte es für den Moment als "junge Frau" ab. Und weil sie meine Stimme hörte, war da für sie immer ein "junger Mann". Ich war für sie also zwei Personen. Sie wunderte sich, warum das eine Mädchen immer so still war und nicht sprach, und unsere Erklärung verwirrte sie. 

Wir gingen ein Eis essen, darüber freute sie sich sehr. Und spazierten am See entlang, saßen unter Bäumen am Wasser, genossen die Sonne, den Schatten, den Wind. Plauderten über dies und jenes. Sie war an diesem Tag ziemlich verwirrt. Sprach davon, ihre Kinder in die Schule bringen zu müssen. War traurig, dass sie vergessen hatte ein Eis für ihren Kleinen mitzubringen. 

Dennoch, sie freute sich sehr über den Besuch. Sie hatte immer offenes Haus, sie liebt viele Menschen um sich herum, und sie genießt das Zusammensein mit anderen. Wenn Besuch da ist, dann ist sie glücklich. Sie wusste nicht mehr, wer ich bin, sie nahm mich als Mann war. Und wenn sie kurz klar ist, dann ist mein Weg für sie okay. Wir konnten ihr ein paar glückliche Momente bescheren mit Eis, Sonne und lieben Gästen. Das ist es, was am Ende zählt ... 

2heartedman 12.08.2018, 13.02

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