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Ausgewählter Beitrag

Zwischen den Jahren / Rauhnacht

Ich habe heute lange überlegt, ob ich diesen Beitrag mit Passwort versehen soll oder nicht. Die Gedanken sind sehr intim und gehen recht tief in die Materie. Ja, ich mache mich damit auf gewisse Weise angreifbar. Aber, doch, ich möchte es mit Euch teilen.


Mein Ziel ist es ja, Außenstehenden ein wenig zu vermitteln, was es bedeutet, trans* zu sein. Dazu gehören nicht nur die Befreiung, erste Schritte, tolle Erlebnisse und Erfolge. Sondern auch Zweifel, Ängste, Sorgen, Rückschläge und düstere Gedanken. Es ist nicht immer leicht. Und gestern Abend hat es mich so richtig erwischt :(

Vielleicht lag es daran, dass die Zeit "zwischen den Tagen", also zwischen Weihnachten bis zu den Heiligen Königen, prädestiniert ist für Bilanzierung, Nachdenklichkeit und das Abwerfen von Ballast. Die Tage sind dunkel, man verbringt mehr Zeit mit sich alleine als üblich. Und wenn man in dieser Zeit auch noch anfängt auszumisten, dann ist emotionales Chaos wohl vorprogrammiert ...

Dass Ausmisten mehr ist als nur das banale Wegwerfen von alten Dingen, ist mir klar. Es bedeutet auch, sich von Erinnerungen zu trennen. Nachzudenken über das was war und ist. Entscheidungen zu treffen über die Wichtigkeit und Wertigkeit von Erinnungsstücken, Alltagsgegenständen und geliebtem Nippes. Es bedeutet Abschied und Abstand zu  nehmen. 

Mir war klar, dass ich da viel auf mich nehme, wenn ich meine Kleider, Schuhe, mein Schminkzeug, meine Dessous wegwerfe. Logisch. Aber ich hatte damit gerechnet, dass ich mich glücklich fühle, befreit, erleichtert. Vielleicht einen inneren Freudentanz aufführe. Feiere. Was weiß ich. 

Statt dessen kam eine Menge in mir hoch. Ich bin dankbar, dass ich im Forum ein paar meiner Gedanken ablassen konnte. 

Es kam von anderer Seite im Forum die Überlegung, ob es nun eine Art Adoleszenz ist, ein Abschied von der Jugend, um endlich erwachsen zu werden. Das ist ein ungewöhnlicher Gedanke, aber er gefällt mir. Abgesehen davon, dass ich in die Pubertät kommen werde, wenn ich Testo nehme, ist es nun ein neuer Lebensabschnitt, den ich beginne. Ich werde wortwörtlich in der Pubertät beginnen müssen, mich und meine Identität neu zu (er) finden und definieren.

Ich verstehe nicht, warum mich das so mitgenommen hat. Am Abend saß ich da und war den Tränen nahe. Warum freute ich mich nicht? Genau das war es doch, was ich all die Jahre wollte!

Statt alles zu wiederholen, möchte ich hier kopieren, was ich im Laufe des Beitrages später im Forum schrieb. Ich denke, es trifft den Kern ganz gut:

Ja, ich möchte mir das tatsächlich sehr bewusst machen, ... denn im Grunde war ich schon immer Kerl, habe aber versucht Frau zu sein. Diese Dinge, selbst wenn sie mir zum Teil gefallen, habe ich nie getragen. Denn ich habe versucht, Frau zu sein, habe sie gekauft, wollte sie anziehen, habe es aber sogut wie nie getragen, es hing halt da (einmal vielleicht auf ´ner Feier oder nem Fotoshooting, aber das war es nicht wert) ... 

Ich trenne mich vielleicht gar nicht sosehr von der Weiblichkeit ... sondern von dem Versuch, dies darstellen zu wollen ... ich sah immer total verloren aus in den Klamotten, wenn ich sie mal trug ... 

ich trenne mich von den Erwartungen, die andere Menschen an mich hatten, als sie mir diese Klamotten aufschwatzten ... 

ich trenne mich von der Hoffnung, vielleicht irgendwie normal zu sein und so zu sein, wie andere mich haben wollen ... 

ich versuche mich damit abzufinden, dass ich so bin, wie ich bin. Ich bin es gerne. Aber es macht mir auch einige meiner Mängel als Zwischenwesen bewusst ... ich habe jetzt den Körper einer Frau und die Klamotten eines Mannes, und noch passt beides nicht so recht zusammen ...

Und später schrieb ich:

aber es fühlt sich ein bisschen ein wie das Eingestehen eines Scheiterns ... 

ich weiß, dass das Schwachsinn ist ... denn ich bin nicht gescheitert, im Gegenteil. 
Zitat: "besser für das gehasst zu werden was man ist als für etwas geliebt zu werden was man nicht ist"

Und, ich werde ja nicht gehasst, sondern geliebt. Für das, was ich BIN! Meine Freunde stehen hinter mir! Und ich bin stolz und froh, diesen Schritt zu gehen und würde freiwillig keinen einzigen zurückgehen! Habe die Klamotten früher nie getragen, warum also jetzt?

Vielleicht ist es die Angst vor der Familie, die mich noch drückt, denn ich fürchte, dass ich in deren Augen gescheitert bin ... 

Die Gemeinschaft im Forum war gestern eine sehr, sehr große Stütze für mich! Diese Themen sind so speziell, dass man damit ziemlich verloren wäre. Der Therapeut hat nicht immer exakt dann Zeit, wenn ich grade mal wieder Frust schiebe. Die Familie weiß noch von nichts. Und mich Freunden anzuvertrauen ist zwar prima aber sinnlos, denn das sind Gefühle, die ein Außenstehender nicht verstehen kann, weil es einfach völlig fremd ist. 

Ein anderer User, der genauso wie ich am Anfang steht, hatte ähnlich frustrierende Gedanken, die er an diesem Abend teilte. Er fühlte sich ziemlich alleine, obwohl er doch Therapie hat, Freunde die zu ihm stehen und ein tolles Forum mit viel Beistand. Und meine Antwort darauf war wenig tröstlich, aber wohl sehr realistisch. Hier nicht mein Beitrag, sondern meine zusammengefassten Gedanken:

Ja, wir sind alleine. Therapie, Freunde, Familie, Forum, aller Rückhalt in Ehren. Aber wir müssen diesen Weg alleine gehen. Niemand kann uns die Entscheidungen abnehmen. Für mich heißt das: 

Ob, wann und wie ich mich vor der Familie oute, muss ich alleine entscheiden. Ich habe Angst davor. Eine Person unter ihnen ist suizidgefährdet und psychisch krank. Eine andere Person schon sehr alt, und ich würde ihm / ihr wohl das Herz brechen. Eine weitere Person empfinde ich zwar als herzensgut aber als Elefant im Porzellanladen, der bereits zweimal bei mir alles zerstörte und mich völlig demontierte. Kein Therapeut kann mir diese Entscheidung abnehmen, und kein Freund kann das Outing für mich übernehmen, das muss ich selbst tun. 

Brüste vor Testo abnehmen oder nicht - viele schreiben das sei unverantwortlich, andere sagen das würde prima funktionieren, aber ob ich es tun werde oder nicht, das muss ich alleine entscheiden, es kann absolut in die Hose gehen oder die bisher beste Entscheidung sein. Ich werde sie alleine treffen müssen.

Penisaufbau, Klit-Pen, Epithese oder lieber absolut gar nichts? Wie hoch ist der Leidensdruck im Vergleich zum möglichen Risiko? Niemand kann mir diese Frage beantworten. Eine Entscheidung, die ich keinem Menschen wünsche!

Mein Partner steht zu mir, und ich liebe ihn. Er hilft mir beim Shoppen, berät mich in Alltagsfragen. Er wird bei meiner ersten Rasur danebenstehen und sucht gerne mit mir Binder und Packer aus. Er hört sich meine Sorgen an, tritt mir wenn nötig in den Arsch und tröstet mich danach. Aber er hat ein eigenes Leben, eigene Probleme, einen eigenen Job und eigene Hobbies. Für mich gibt es momentan quasi nur ein einziges Thema, omnipräsent und alles überdeckend. Ich kann ihn nicht ständig damit nerven, er braucht auch mal eine Pause! Es kann sich nicht immer alles nur um mich drehen. 

Und dann liegt man des nachts im Bett. Fragt sich, wie man sich outen soll, ob man mit einer Epithese wirklich glücklich sein kann. Sorgt sich, wie man die kommenden Monate auf Arbeit als Frau überstehen soll und warum man nicht einfach ganz normal sein kann wie andere Menschen auch. Wünscht sich, dass man nur mit dem Finger schnippen müsste ... 

Zum Glück sind diese Nächte irgendwann auch wieder vorbei ... 

2heartedman 28.12.2014, 18.44

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Funny

Danke, dass du diesen Beitrag nicht passwortgeschützt hast. Ich bin tief bewegt.

vom 22.04.2015, 18.11
Antwort von 2heartedman:

Danke für die Rückmeldung *smile*