two hearted man
Interne Seiten
RSS 2.0 RDF 1.0 Atom 0.3
2024
<<< April >>>
Mo Di Mi Do Fr Sa So
01020304050607
08091011121314
15161718192021
22232425262728
2930     
Statistik
Einträge ges.: 1238
ø pro Tag: 0,4
Kommentare: 263
ø pro Eintrag: 0,2
Online seit dem: 05.12.2014
in Tagen: 3428

Ausgewählter Beitrag

Wanderung in der alten Heimat

Am Wochenende war ich mit meinem Onkel wandern.

Als mein Vater starb, brach die letzte Verbindung in meine alte "Heimat". Als Heimat habe ich es nie empfunden von der Bindung her, aber die Natur habe ich immer sehr geliebt. Meinem Onkel geht es ähnlich, deswegen haben wir beschlossen, gemeinsam dort zu wandern. 

Das Wort "wandern" ist deutsch, man kann es nicht übersetzen. Warum, verstehe ich nicht. Vielleicht liegt es an der Natur, die in Deutschland zum Wandern einlädt. Oder an der Mentalität der Deutschen. Wobei, das ist lange her, heute findet man das kaum noch, ein "Wandertag" ist meist ein Ausflug mit dem Bus, und für die Menschen ist "Wandern" gleichbedeutend mit einem langen Spaziergang von ein paar Kilometern. 

Für mich beginnt eine Wanderung eigentlich erst bei 20 km aufwärts (und falls es eine bequeme Strecke ist, ist das eigentlich eher ein ausgedehnter Spaziergang). Wandern, das ist über Stock und Stein, in die Natur, weg von der Zivilisation. Nur mit einem Rucksack für das Nötigste an Nahrung, Getränk, Schutz vor Wetter. Wirklich zufrieden bin ich erst so ab 40 km aufwärts. Und ich habe bisher immer festgestellt, dass mich das dennoch nicht an die Grenzen bringt, hatte auch schon fast 60 km, und wären die Blasen an den Füßen nicht gewesen, wäre ich weitergelaufen damals. Wandern. Laufen. Alles zurücklassen, raus in die Natur, ohne Menschen, endlich Ruhe finden!

Wir trafen uns um kurz nach fünf Uhr morgens und liefen dann gemeinsam zum Bahnhof. Ein Cappu mit Sojamilch, dann ab in den Zug. Wir kamen gegen neun Uhr an. Liefen vorbei an unserem alten Wohnort, dann zu dem Wald, wo wir immer gewandert sind als Kinder, vorbei am Waldbad. Und dann ab in die Pampa, durch Wald und Wiese, bergauf und bergab. 

Im Fichtelgebirge bedeutet "durch Wald und Wiese, bergauf und bergab" tatsächlich das, was ich meine. Teilweise ohne befestigte Wege. Und die "befestigten Wege" sind übersät mit Wurzeln, Stöcken, Steinchen, Felsen, Granitblöcken (sic). Man muss ziemlich trittsicher sein, erst recht bei diesem diesigen, nassen Wetter. 

Unser erstes Ziel war der Hirschstein, ich kannte ihn nicht, mein Onkel war dort als Kind immer gewesen. Wunderschön, ein toller Ausblick ins Tal, man steht über den Baumwipfeln und blickt hinunter. Rundum überall nur Wald, Felsblöcke, Moos, und weiter hinten am Horizont andere Dörfer, andere Hügel, andere Ruinen, Burgen, Bauwerke auf den Bergkuppen. 

Zwischendurch gab es immer wieder etwas zu entdecken. Der Wald roch nach Pilzen, überall standen lauter essbare Pilze, schade, dass wir die nicht bis abends mit uns tragen wollten, das hätte ein tolles Essen gegeben! 

Hier ein Tier, dort eine seltsame Formung von Pflanzen / Bäumen. Das ist die Art Wald, die ich liebe, die ich kenne, wo ich mich zu Hause fühle, das ist schwer zu beschreiben. Wenn ich sage "Moos" oder "Felsbrocken", dann hat zwar jeder ein Bild vor Augen, aber das Fichtelgebirge ist da auf seine Weise sehr eigen, urtypisch. Werde demnächst ein paar Fotos hier verlinken. Wald ist mehr als Bäume und Erdboden, jeder Wald ist anders, und einen wie diesen gibt es nur dort ;-) 

Vom Hirschstein Richtung Kirchenlamitz. Das Naturfreundehaus, das Biotop, die ehemaligen Bahngleise (jetzt ein geschotterter Wanderweg). Oh, ich fühlte mich so alt, das ist so lange her alles! Die Ortschaft so kahl, verlassen, viele leerstehende Häuser, wie eine Geisterstadt, stellenweise regelrecht unheimlich! Aber zugleich wunderschön ... 

Bei Kirchenlamitz dann das Granitlabyrinth (das ist neu, gab es damals noch nicht), Onkel auf den Wegen, ich hüpfte über die Granitfelsen, von oben hatte man einen besseren Blick zum Fotografieren. Kurze Rast inmitten des Labyrinth beim Obelisk, vielleicht eine halbe Stunde wenn überhaupt. Und dann weiter, zum Epprechtstein. 

Vom Bahnhof bis zum Labyrinth haben wir gerade mal eine Person im Wald (ganz zu Beginn, mit Hund) getroffen und in der Stadt nur drei oder vier Passanten. Am Labyrinth dann ein paar Touristen. Den Rest des Tages sahen wir sogut wie keinen einzigen Menschen mehr. So gehört es sich, wenn man weg will von der Zivilisation ... 

auf dem Weg zum Epprechtstein begann es zu regnen, hielt ein wenig länger an. Regenjacke musste ich noch nicht tragen, aber den Schirm kurz aufspannen für eine halbe Stunde, aber das hält uns nicht auf, wir liefen einfach im Regen weiter. 

Dann kamen wir am Epprechtstein an. Auch hier wieder viel bergauf, bis wir ankamen, dann bis nach oben kletterten. Ausblick ins Tal, alles um sich herum vergessen, zu sich finden. Ich konnte den Alltag gut abschalten, das war sehr schön. Wenn man mitten über den Baumwipfeln ist und ins Tal blickt, nachdem man kilometerweit einfach nur einen Fuß vor den anderen gesetzt hat, dann ist kein Platz für "ich muss morgen zur Arbeit" oder "hoffentlich bewilligt die Kasse den Antrag" oder "ich habe Angst vor der OP". Aber der Genuss wollte sich trotzdem nicht so ganz einstellen, irgendwie gelingt es mir noch immer nicht, wirklich etwas zu empfinden. Ich weiß, dass das irgendwann wieder kommt, aber gerade in solchen Momenten wie da oben am Berg bedauere ich das sehr ... 

Wir wollten eigentlich Richtung Münchberg und Bischofsgrün. Aber mein Onkel sich wohl etwas vertan (er ist schon länger nicht gewandert und hatte das etwas unterschätzt. Wir scherzten, ich sagte einfach "wir haben Zeit verloren, weil ich ständig fotografieren musste"). Aber war okay, wir hatten ja keine Vorgabe, keinen Zwang, mussten nichts erfüllen, und 40 bis 45 km ist immer noch okay, erst recht mitten durch den Wald mit haufenweise Höhenmetern, war trotzdem eine recht ordentliche Leistung, und eine sehr, sehr schöne Zeit, ein tolles Erlebnis.

Für mich dennoch ein wenig enttäuschend, ich wollte einen richtigen Gewaltmarsch, bei dem ich am Ende nicht mehr weiß, wer ich bin, bei dem ich körperlich so richtig an die Grenzen komme. Das war nicht der Fall, ist wohl generell auch etwas zuviel verlangt. War früher schon sehr robust, was Wanderungen betrifft, und seit Training / Testo scheinbar noch mehr. Schatz meinte mal, ich sei ein Roboter, der einfach die Beine abschraubt, auswechselt und weiterläuft. Weil ich null Ermüdungserscheinungen zeige beim Laufen. War auch hier der Fall ... 

Wir liefen also vom Epprechtstein den Berg hinunter, zurück Richtung Kirchenlamitz und dann über die Landstraße "nach Hause" zum Bahnhof. Die Autos sie sahen uns entgegenkommen (wir liefen auf der linken Seite, wie es sich gehört, Onkel hatte eine kleine Taschenlampe, damit man uns auch sah). Aber sie bremsten nicht, und viele hielten auch keinen Abstand. Brausen fast ohne Abstand mit 90 oder mehr Sachen an uns vorbei, das war wirklich irre, und die nahmen keine Rücksicht. Irgendwie traurig. Da vermisst man doch glatt den Wald und die Natur ... 

Wir liefen in den Sonnenuntergang, und ich habe ein paar tolle Fotos aufgenommen vom Mond über den Feldern, zwischen den Bäumen ... 

Die Heimfahrt war anstrengend. Schlafen war kaum möglich, der Zug war übervoll (in unserem Zugabteil saßen weit mehr Menschen als wir den ganzen Tag über gesehen hatten). Direkt vor uns saß eine Gruppe Frauen, die hatten jede Menge Spaß. Gacker, gacker, kicher kicher, läster tratsch hihi. Das war sehr anstrengend, diese hohen Stimmen, diese ständige Beschallung. Da wünschte man sich glatt zurück in den Wald *seufz* ... 

Alles in allem ein sehr schöner Tag. Wir sind um die 40 bis 45 km gewandert, davon etwa 15 auf Asphalt oder befestigten Wanderwegen, der Rest querfeldein über Feldwege, Waldwege, Granit-Treppen, über Wurzeln und Baumstämme. Es war sehr schön, trotz (bzw sogar wegen) des Regens und der Diesigkeit. Es war nicht zu warm sondern genau richtig, so kenne ich das Wetter in der Region, und es passte alles gut zusammen ... 

die Grenzerfahrung, die ich mir gewünscht habe, konnte ich leider nicht erleben. Vielleicht werde ich eines Tages einmal eine Wanderung unternehmen, die mich an die Grenzen führt, wie ich mir das wünsche. Aber alleine möchte ich das nicht, und der passende Wanderpartner fehlt noch. Naja, mein Onkel war selbst frustriert, dass er außer Übung ist, und wir wollen wenn möglich öfter einmal gehen, zu jeder Jahreszeit. Falls wir gemeinsam einen Zeitpunkt finden, an dem wir beide Zeit haben (ist selten). Und dann werden wir auch sehen, dass wir nicht am gleichen Tag zurückmüssen, damit wir noch sehr viel länger laufen können ... 

Trotz fehlender Emotion, trotz fehlender Grenzerfahrung: der Duft des Waldes, das Moos auf den Steinen, die Felsbrocken, die Regentropfen im Gras, der Sonnenuntergang, der Blick vom Berg über die Baumwipfel hinunter ins Tal ... das waren ganz wunderbare Momente ... schade, dass dieser Tag viel zu kurz war ... wie ein Tropfen auf dem heißen Stein ... 

aber die Erinnerungen werde ich dennoch behalten, die sind kostbar ...

2heartedman 11.10.2016, 21.43

Kommentare hinzufügen

Die Kommentare werden redaktionell verwaltet und erscheinen erst nach Freischalten durch den Bloginhaber.



Kein Kommentar zu diesem Beitrag vorhanden