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Therapie 05 - Reflexion, Arbeit und Zukunft

Gestern war ich wieder beim Therapeuten. Es war mir ein Anliegen, die Dinge anzusprechen, die mir letztens Mal aufgestoßen sind. Zwei Sätze hatten doch ganz schön in mir gegärt. Bei einer seiner Aussagen kam ich mir vor, als hätte er mir die ganze Stunde nicht zugehört, und mit dem anderen Satz fühlte ich mich auf unschöne Weise bewertet. Aber schon nach der Sitzung war mir klar, dass das nicht an ihm lag, denn er nimmt sich als Therapeut auf angenehme Weise sehr zurück und ist vor allem ein sehr guter Zuhörer, der das Gesagte auch verarbeitet und im entsprechenden Kontext setzen kann. Dass ich also innerlich verärgert reagierte, sagt deutlich mehr über mich als über ihn aus ;-)


Trotzdem war es mir wichtig, das anzusprechen. Er hat dann auch erklärt, warum er beide Dinge gesagt hatte, und es bestätigte meine Vermutung. Interessant ist aber trotzdem, dass er zwar neutral blieb, aber eben klar wurde, dass wir in diesem Punkt einfach zwei unterschiedliche Weltsichten haben. Ist ja okay, solange er mir die seine nicht aufdrängt, und dieses Gefühl hatte ich nicht. 

Auch ging es um das angeschnittene Thema "woran erkennt man, ob man trans ist" und "woran mache ich das für mich selbst fest". Eine klare Antwort kann man im Endeffekt nicht geben. Es gibt nicht den klassischen Lebenslauf. Es ist wirklich ein rein individuelles Empfinden, das jeder für sich selbst definieren muss. Ich denke, das macht es in vielen Punkten so schwierig, sobald es um Dokus oder Fachbücher geht. Es gibt wohl so viele Definitionen von Transidentität, wie es Transmenschen gibt!

Ein anderes Thema, das etwas ausführlicher angerissen wurde, war meine berufliche Vergangenheit und Zukunft. Ich habe bisher viele Gelegenheitsjobs gehabt, mein aktueller Beruf ist mein erster "richtiger" langer fester Job. Aber in meinem Beruf ist es eben üblich, dass man oft nur Jahresbefristungen erhält. Für Projekte, als Vertretung einer Elternzeit, für eine bestimmte kurzfristige Aufgabe. Dadurch entsteht für Außenstehende natürlich der Eindruck, ich wäre unstet oder hätte keine Erfahrung vorzuweisen. Und ich gebe zu, das nagt schon etwas an mir, denn in der heutigen Welt definiert man sich leider sehr stark über den Beruf. Ich habe es gehasst, auf "und was arbeitest Du" nie so richtig vernünftig antworten zu können. 

Faul war ich aber nie. Oft hatte ich drei Nebenjobs parallel, teilweise sogar sehr anspruchsvolle. Manchmal hatte ich auch nur simple Tätigkeiten hinter der Verkaufstheke oder beim Regaleräumen. Aber wichtig war mir immer eines: ich definiere mich als loyal und integer!

Was ich mache, mache ich mit 100 Prozent und aus Überzeugung. Natürlich fürs Geld zum Überleben bis zum Monatsende, aber nicht um des Geldes wegen an sich. Arbeit ist Mittel zum Zweck, aber Arbeit ist auch etwas, hinter dem ich voll und ganz stehen muss.

Mein Problem im aktuellen Job ist, dass ich nicht mehr loyal hinter meinem Arbeitgeber stehen kann und integer meinen Dienst verrichte. Dafür habe ich inzwischen zuviel dort erlebt. Meine persönlichen Prinzipien decken sich zwar mit den Zielen, nicht aber mit den Methoden meines Dienstherren und schon zweimal nicht mit den Methoden meiner Kollegen. Auch, wenn ich ein überaus gutes Gehalt bekomme - lieber verkaufe ich für 400 Euro im Monat aus Überzeugung Blumen, als für einen gehobenen Tarif meine Prinzipien zu verraten. Und notfalls habe ich halt drei oder vier 400 Euro Jobs, bis ich die richtige Vollzeittätigkeit finde. Die Gesellschaft schüttelt mit dem Kopf, die Verwandschaft rauft sich die Haare, das Jobcenter will mich mit aller Gewalt vermitteln. 

Ich blicke recht neugierig in die Zukunft. Zugegeben, ich habe schon etwas Bammel. Finanziell und existenziell ging es mir noch nie so gut wie in den letzten Jahren in dieser Festanstellung. Das aufzugeben kratzt ganz schön an mir. Meinen jetzigen Standard aufzugeben wird schwer, und wieder diese schiefen Blicke der Gesellschaft zu ernten bereitet mir Magenschmerzen. Und ich habe schon sehr viel Ärger mit den Ämtern gehabt - das ist eine lange Geschichte. Ich will jetzt nicht von Willkür erzählen oder von Machtspielen, das klänge zu verschwörerisch und paranoid. Aber es ist trotzdem erschreckend, wie leicht man als Mensch degradiert und vorverurteilt wird, ohne dass ein Mitarbeiter sich die Zeit nehmen würde, Deinen Fall unter der Oberfläche zu betrachten. An Tagen, wenn es mir schlecht geht, habe ich Angst vor dem, was nach dem Job kommt und dass ich den Behörden ausgeliefert sein könnte.

Aber die meiste Zeit bin ich hoffnungsvoll. Denn ich habe gelernt, dass das Leben immer einen Weg findet (Copyright Jurassic Parc). Immer, wenn eine Tür sich schließt, geht mindestens eine neue auf (und noch ein Kalenderspruch hintendrein). Ich kann und will nicht planen, was danach kommt. Ich arbeite an meiner Zukunft und bereite mich vor, aber ich lege mich nicht fest und bleibe offen für Möglichkeiten. 

Vielleicht ein neuer Job in meiner bisherigen Ausbildung. Vielleicht aber ein völlig neues Gebiet als Quereinsteiger (habe bereits ein paar Ideen und realistische Optionen). Eventuell die Selbständigkeit zusammen mit meinem Mann, auch hierfür haben wir bereits eine grobe Skizze entworfen. Vielleicht lese ich auch in zwei Monaten ein grandioses Stellenangebot, das wie für mich gemacht ist? Wer weiß das schon? Demnächst soll ein veganer Supermarkt in der Nähe eröffnen, vielleicht suchen die noch Verkäufer? 

Das ist eine ungewöhnliche Einstellung. Eine aufrechte, flexible, aber auch eine risikobereite, für manche vielleicht sogar unvernünftige. Und ich denke, da sind mein Therapeut und ich ein wenig kollidiert letztes Mal. Dieses Mal erklärte er mir seine Vorstellung, und ich erzählte ihm von meinem Konzept. Beides ist okay, denn es darf ja jeder seine eigene Meinung haben. 

Ich fand es gestern sehr, sehr angenehm bei ihm. Weil ich mich in dem Moment wertgeschätzt fühlte in dem, was ich bin / fühle / denke, auch wenn es von seinen Vorstellungen abweicht. Das ist es, was ein Therapeut vermitteln und tun sollte: den Klienten zwar hinterfragen, ihn aber nicht dirigieren oder ihm seine eigene Richtung aufdrücken. Nach dem, was ich von anderen Therapeuten erlebt habe, bin ich wirklich froh, dass ich mich für ihn entschieden habe. Ich denke, er ist ein sehr guter Begleiter auf meinem Weg. 

2heartedman 06.03.2015, 08.17

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