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Ausgewählter Beitrag

Taugt nur fürs Cabaret

Heute auf Arbeit (mal wieder) ein Schlag in die Magengrube. Komme gut damit klar, kenne die Situation ja, habe das schon häufiger erlebt und kann damit umgehen. Erst recht, seit ich weiß, dass ich mich für meinen Weg beruflich umorientieren werde. Trotzdem sehr unschön, was ich heute erlebte.


Ich habe gelegentlich mit Transpersonen zu tun. Männer wie Frauen, meistens Transmänner. Heute allerdings eine Transfrau. Schon kam die erste Kollegin auf mich zu "haben Sie schon gesehen? Übrigens, damit Sie Bescheid wissen, die ist transsexuell" (ich nickte höflich, danke für die Info, ich werde sie trotzdem nicht anders behandeln als andere Frauen). Dann durch die Kollegenbank die nächsten Kommentare. 

In dem Alter sei das ja eh zu spät. Außerdem vermutlich nur eine Phase, man müsse sich mal den Lebenslauf ansehen, da ist es überall heute so morgen so, hier sicher auch. Sie sei sowieso total männlich, einfach weil es gar nicht anders geht, denn was Hänschen nicht lernt, und in ihrem Alter sei das zu spät, Sozialisation sei Dank. Sie könne ins Cabaret, dort seien Transsexuelle ja an der Tagesordnung. Und die Männer wüssten ja eh nie, was man anzieht, so würde keine echte Frau jemals rumlaufen, das sei lächerlich. 

Während diese Sachen geäußert wurden, wurde natürlich ständig das männliche Pronomen genannt, und ich glaube nicht, dass das an der Vergesslichkeit lag, sondern an der fehlenden Bereitschaft umzudenken. 

Bei manchen Punkten hakte ich ein, zB "wieso, hab sie schon gesehen, sah doch wirklich gut aus" oder "na, 25 ist aber wirklich kein Alter, da geht noch ´ne Menge" oder "solange wir uns nicht auskennen, ist es nicht sinnvoll, da wild zu spekulieren". Und vieles habe ich runtergeschluckt, zB Transvestiten sind nicht zwangläufg transsexuell, und Hormone können ´ne Menge bewirken, die Operationen von Mann zu Frau sind unabhängig vom Alter wirklich super. Und ich verkniff mir auch zu erwähnen, dass Hänschen sehr wohl als Hans lernfähig ist. Viele Transpersonen, die erst spät ihren Weg gegangen sind, haben trotzdem ein traumhaftes Passing. Und selbst wenn nicht - ist das nicht völlig egal? Ist das einzige, was zählt, nicht, dass wir sie mit Respekt behandeln? 

Am Ende meinte ich nur "aber Sie haben gesagt, sie ist nett. Das reicht mir, wenn ich sie nachher treffe, dann kann ich gut mit ihr arbeiten". 

Das Schlimme daran: die Kollegen meinen es nicht einmal böse. Während sowas gesagt wird, lächeln sie, es sind aus deren Sicht rein faktische Feststellungen. Eine Transfrau sieht lächerlich aus und gehört ins Cabaret. Mit Mitte 20 ist man bereits zu alt, man hat gar keine Chance jemals hübsch auszusehen. Und wer einen Zipfel hat, ist ein Mann, und somit eine Gefahr für Frauen. 

Als ich sie später traf, war ich baff. Sie steht noch ganz am Anfang, aber sie ist echt vom Glück gezeichnet, kaum ein Bart und eher eine Alt-Stimme, ein sehr weiches Gesicht. Die wird bald verdammt gut aussehen, wenn sie was draus macht! Aber das sahen die Kollegen nicht, die sahen nur ihre Vorurteile ...

Als ich später im Supermarkt war, hatte ich eine ähnliche Situation: da stand ich am Regal, und neben mir plötzlich "hier, guck mal, Reiswaffeln" - "bäh, wie Pappe, würd ich nie im Leben essen" - "neee, lieber ein schönes dickes Steak" - "das schmeckt, hat wenigstens Nährwert, anders als so ´ne Pappwaffel" - "nä, also wer sowas runterkriegt, der hat echt nicht mehr alle" usw ... 

Während manche Transmenschen obigen Text über sie diskriminierend finden und sich verletzt fühlen, würden sie als Fleischesser das mit der Reiswaffel einfach als Feststellung sehen, denn schließlich schmeckt das Zeug wirklich wie Pappe aus ihrer Sicht. Vielleicht würden sie einen solchen Text sogar selbst im Supermarkt ablassen (über vegane Ernährung, über die Zeugen Jehovas, über den neuesten Regierungsbescheid, über was auch immer sie glauben Informationen zu besitzen). 

Ich als Veggi hab erstmal geschluckt und wollte fast den Mund aufmachen, sagen "wenigstens ist meine Reiswaffel nicht voller Antibiotika und Stresshormone, und wisst Ihr, was Ihr den Tieren damit antut, und außerdem mag ich Reiswaffeln, denn der Geschmack ändert sich durch eine Ernährungsumstellung, und woher willst Du wissen, dass das wie Pappe schmeckt, wenn Du niemals eine essen würdest und somit noch nie eine gegessen hast?" 

Natürlich schwieg ich, denn ich will nicht jeden missionieren. Aber die Situation ist die gleiche: aus ihrer Sicht haben sie keine Veggis diskriminiert sondern einfach Tatsachen festgestellt, die für sie so in Stein gemeißelt sind und die auf der Hand liegen. Genauso wie die Kollegen, die eben wissen, dass Transsexuelle ins Cabaret gehören und niemals die Chance haben werden, ein normales Leben zu führen. Zumal sie das ja beide weder dem Veggi noch der Transfrau ins Gesicht gesagt haben, sondern denen gegenüber dann vielleicht einen anderen Ton anschlagen würden und sagen würden "nicht mein Ding, aber mach ruhig". So verlogen!

Selbst, wenn sie es nicht so gemeint haben - ich fand es respektlos, würdelos und gemein. Als hätte man mich in den Magen geboxt. Denn da ich nicht geoutet bin, durfte ich auch nicht offen antworten. Solche Texte habe ich mir schon mehrfach anhören dürfen. Und werde sie, bis ich meine Arbeit verlasse, wohl auch noch häufiger hören. 

Manchmal ist es nicht leicht. Erst recht für einen Menschen wie mich, der das Herz auf der Zunge trägt. 

Der heutige Tag hat mich in meiner beruflichen Entscheidung bekräftigt. Denn selbst, wenn sie mir gegenüber solche Sachen später nicht ins Gesicht sagen würden - ich wüsste, wie sie denken und was sie hinten herum über mich reden. Ich wäre ein chancenloser Freak, der es niemals lernen wird und bei dem medizinisch eh alles zu spät ist. Wenn es nicht sowieso nur eine Phase ist (denn auch mein Lebenslauf ist geprägt von vielen Veränderungen, Hochs und Tiefs, wie wohl der Lebenslauf der meisten Transidenten). 

Wie ich dagegen vorgehen möchte? Beruflich kann ich das momentan nicht. Aber im Privaten tue ich es bereits jetzt, und wenn ich im Job fertig bin, lege ich richtig los. Öffentlichkeitsarbeit, Information, Bloggen, Aufklärung. Es ist wichtig, dass Leute sehen, dass es uns gibt. Dass ihre Fehlinformationen durch Fakten und positive Gegenbeispiele überlagert werden. Das geht nicht von heute auf morgen, und es ist ein harter Weg, aber der ist mir wichtig. Ich will, dass man uns sieht. Und ich will, dass man uns versteht! Respektiert! Dass wir eines Tages offen und frei auf die Straße können und niemand mehr einen Gedanken daran verschwendet, dass wir irgendwie anders sind ...  

2heartedman 18.02.2015, 17.50

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Kommentare zu diesem Beitrag

2. von Björn

Hey, lass dich von solchen Leuten nicht fertigmachen. Für die mag all das eine neutrale Feststellung sein, aber aus einer anderen Perspektive ist es doch nur die persönliche Meinung von Leuten, die so weit entfernt von dir leben wie Australien. Das einzige Problem ist, dass sie ihre Meinung nicht für sich behalten, sondern sie jedem aufdrängen, aber das heißt nicht, dass ihre Meinung für dich wichtig sein muss. Aufklären kannst du sie später natürlich trotzdem. ;)

vom 25.02.2015, 17.41
Antwort von 2heartedman:

Vielen Dank! 

*nick* sowas kann man sich nicht oft genug immer wieder selbst klarmachen, dass diese Meinung völlig unwichtig ist. Es trifft einen halt trotzdem irgendwie ... 

auf aufklären werde ich die Kollegen nicht, denn ich werde ungeoutet gehen. Da ich out and proud sein möchte (zumindest momentan so meine Vorstellung) kann es sein, dass ich auch das Arbeitszeugnis niemals nachträglich auf männlichen Namen verlangen werde, sodass die es ggf nie mitbekommen ... 

wäre ich bös, würd ich sagen "wozu aufklären ... die sind zu alt. Was Hänschen nicht lernt" ... aber ich bin ja nicht bös *unschuldig guckt* ;-)

1. von Sonja

Ja, ich denke auch, dass Aufklärung und eine gewissen Coolness nötig sind. Guck dir an, wie "trendy" Hildmann das Vegansein gemacht hat, plötzlich verliert Veganismus an Fremdheit.
Sei du der Hildmann der Transexuellen :-)!Du kannst das! Nicht unterkriegen lassen! Menschen haben nun einmal Angst vor allem, was anders ist - gewöhne sie daran :-)

vom 21.02.2015, 08.50
Antwort von 2heartedman:

naja, ganz so viel Medienrummel wie der Hildmann wäre mir wohl doch eine Spur zuviel. Glaube nicht, dass ich der Typ für sowas bin, bin lieber im Hintergrund. Aber es gibt ja auch andere Möglichkeiten ... aber ja, die Leute dran zu gewöhnen, das ist mein heimlicher Plan ... man darf ja träumen ;-)