two hearted man
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Ausgewählter Beitrag

Schlachtplan mit Onkel

Am Sonntag kam mir eine Blitzidee. In meiner Nähe wohnt einer meiner Onkel. Er ist einer, der sich ebenso wie ich weitgehend aus dem Getratsche heraushält und der recht vernünftig ist (wenn man ihn mit dem Rest der Familie vergleicht, aber auch er ist schon ein ziemliches "Original", um es mal so zu sagen). Bat ihn um einen langen Spaziergang, weil ich etwas mit ihm bereden wollte.


Mein Onkel ist faszinierend: ich treffe ihn immer dann, wenn eine Phase in meinem Leben abgeschlossen ist und etwas Neues beginnt. Seit 12 Jahren. Wir haben nie Kontakt, aber dann plötzlich treffen wir uns vor dem Laden, in der Stadt, auf der Straße. Immer genau dann, wenn ich frisch umgezogen bin, geheiratet habe, später die Scheidung vollzogen hatte, einen neuen Partner fand, einen neuen Arbeitsvertrag unterzeichnet hatte, usw. Punktlandung, als wüsste er das. Dieses Mal allerdings ist die Veränderung in meinem Leben keine Punktlandung, sondern es handelt sich um einen sehr langen Prozess ohne Anfang und Ende. Also war es an der Zeit, nicht zu warten sondern ihn konkret anzusprechen.

Er hatte am Montag auch gleich Zeit (auch das eine Fügung, denn eigentlich hatte er etwas anderes geplant, das aber kurzfristig in die Hose ging, sodass er Zeit für mich hatte). 

Herzliche Begrüßung, und dann legte er los. Dachte, ich hätte ihn aus einem anderen Grund um das Gespräch gebeten. Denn bei ihm war sehr viel vorgefallen, und die Gerüchteküche brodelte inzwischen. Und auch bei einigen anderen mir wichtigen Personen der Familie hatte sich ungeheuer viel ereignet. Bis auf wenige Ausnahmen hatte ich davon tatsächlich nichts mitbekommen. 

Ich möchte das hier nicht wiedergeben, denn es sind doch interne Familienangelegenheiten. Aber man kann es so beschreiben: der Drehbuchautor dieser RTL-Soap wäre wegen zu vieler Dramen, zu übermäßig inszenierter Szenen und etlicher unrealistischer Übertreibungen schon längst gefeuert worden, weil keiner ihn mehr für voll genommen hätte. 

Zu Beginn dachte ich mir noch ein paarmal "sch***, die haben alle selbst so viele Probleme, und ich setz dem noch die Krone auf". Aber je länger er erzählte, desto ruhiger wurde ich innerlich: "das wird die ´nen Dreck interessieren, was ich mache, die haben genug mit sich selbst zu tun". 

Der Abend hat mich sehr erschöpft. Es waren so viele Dramen, die mir an diesem Abend erzählt wurden. Und wenn man die Menschen persönlich kennt, zum Teil auch etwas für sie empfindet, dann ist das schon heftig. Ich schwankte zwischen schlechtem Gewissen (weil ich von allem nichts mitbekommen hatte) und Freude (dass ich mich endlich aus dieser Familie herausgenommen habe, weil ich da gar nicht mit reingezogen werden will). 

Mein Outing ging dann auch ziemlich unspektakulär. Er meinte nur lapidar "wirst schon keinen umgebracht haben" (ich glaube, das wäre nach diesem Gespräch das einzige gewesen, womit ich wirklich jemanden hätte schocken können). Ich meinte "doch, die (weiblicher Name)". Auf seinen abwartenden Blick hin dann "ich werde mich (männlicher Name) nennen". 

War für ihn kein Problem. Zusammengefasst lässt sich eine Antwort beschreiben als "na und, das kann denen doch egal sein, was Du in Deiner Hose hast". Er versteht, warum ich das mache und meint, dass es ihm auch schon früher auffiel, dass ich nicht das typische Mädchen war und eigentlich in eine andere Richtung wollte. Erzählte auch, dass er meine Familie schon darauf angesprochen hatte, dass sie mich quasi falsch erziehen und ich ausbrechen werde (als er das sagte, erinnerte ich mich, da gab es tatsächlich mal was). 

Meinen Vater solle ich nicht unterschätzen, meinte er. Meine Sorgen seien unbegründet, und der würde das locker wegstecken. Ach, das tat gut! Denn diese Vermutung hatte ich auch, aber trotzdem wollte ich seiner Gesundheit wegen vorsichtig sein. Ich war schon immer ein Papakind, aber den Zugang zu ihm zu finden ist schwer, er ist extrem verschlossen und lässt niemanden an sich heran. Was er wirklich denkt und fühlt, das vermag ich nur zu raten. Mein Onkel dagegen hat einen etwas besseren Zugang und meinte, das sei alles okay. Falls er es nicht eh schon wisse oder ahne ... 

Was meine Großeltern betrifft war er kritisch. Genauso wie ich hasst er das Lügen,  aber man müsse es realistisch sehen: sie sind über 90 und beide dement und schwer krank. Er erzählte mir, wie es tatsächlich um ihre Gesundheit aussieht. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war ich schockiert, wiesehr sie abgebaut hatten, und er meinte, seitdem sei es um Längen schlechter geworden. Sie leben in der Vergangenheit und begreifen die Gegenwart nicht mehr. Würde ich mich ihnen heute offenbaren, hätten sie es morgen wieder vergessen, vielleicht weil sie es nicht begreifen wollen, vielleicht weil sie es sich nicht merken können. Und wenn sie es begreifen würden, würde ich vieles in ihnen zerbrechen, was sie über all die Jahre aufgebaut hatten. Er sagte, falls ich mich ihnen offenbaren will, dann soll ich sie besuchen und sie mir selbst ansehen und erst dann entscheiden. Zumal es sein könne, dass sie meine wirklich sicht- und hörbaren Veränderungen in 1,5 Jahren vielleicht gar nicht mehr erleben werden ... harte, ehrlich Worte, puh!

Und meine Mutter ein Thema für sich. Er wollte nur wissen, ob sie mich verletzen könne und ob mir ihre Meinung wichtig sei. Dass ich es ihr erzählen wolle, könne er verstehen, denn sie ist ja trotz allem meine Mutter. Aber was denn Schlimmes passieren könnte, wenn sie nicht damit umgehen könne? Und auch hier, die Worte waren hart aber leider sehr ehrlich und vor allem realistisch. 

Diese Gedanken haben mir sehr viel Druck genommen. Ich möchte meine Großeltern vielleicht bald besuchen, falls es möglich ist. Nicht, um mich ihnen zu zeigen, sondern um sie noch einmal zu erleben, bevor es zu spät ist. Meinen Vater wollte ich am nächsten Tag direkt anrufen (neuer Beitrag). Und meine Mutter würde wie geplant eine Karte bekommen mit ein paar Zeilen, und dann soll sie damit machen, was sie möchte. 

Vier Stunden liefen wir durch den winterlichen Wald. Dort hinten war nichts geräumt, der Weg war voller zertretenem Schnee, tagsüber sind dort oft Jogger und Wanderer. Und je weiter wir hinaus liefen, desto unberührter war die Natur, desto unbearbeiteter die Schneefläche. Wir waren quasi alleine. Wald, Schnee, über uns der Mond und die Sterne. Es war wunderschön! Und klirrend kalt, hat das Hirn ordentlich durchgepustet, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. 

Als ich nach Hause kam, aß ich kurz einen Happen, und dann fiel ich wie tot ins Bett. Ich war platt von all den Eindrücken, aber zugleich auch befreit und gelöst. Wieder einmal hatte mein Onkel mir beigestanden. 

2heartedman 01.01.2015, 17.36

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Funny

Wie schön, dass du neben deinem Mann solch einen guten Vertrauten hast :-)

vom 26.04.2015, 09.44
Antwort von 2heartedman:

mehrere ... ich bin gesegnet mit einigen Leuten, denen ich absolut vertrauen kann ...