In meiner Kindheit und Jugend bin ich ständig errötet. Wenn etwas traurig, lustig, peinlich, interessant war, eigentlich immer sobald der emotionale Pegel über 0 hinaus oder hinunter ging. Dass die meisten Leute in meinem Umfeld glaubten, das unbedingt kommentieren zu müssen, machte es nicht besser. Mein Lateinlehrer gab mir sogar den Spitznamen Eos (Göttin der Morgenröte). Klassenkameraden, Freunde, sonstige Leute haben sich eher darüber lustig gemacht. War sehr unschön und hat oft ziemlich weh getan, ich konnte ja nichts dafür. Manchmal habe ich mich kaum getraut, irgend etwas zu sagen, mich zu Wort zu melden oder überhaupt irgend etwas zu fühlen, weil es ja dann sofort wieder geleuchtet hätte und wieder blöde Sprüche gekommen wären. Aber allein der Gedanke, vorsichtig darauf zu achten, dass nichts passiert, führte natürlich dazu, dass es sofort wieder anfing. Und der Gedanke, dass ich in eine Situation kommen könnte, in der das ausgelöst wird, ebenfalls. Eigentlich war ich fast nonstop rot im Gesicht.

Außerdem hatte ich das als später Teenager und junger Erwachsener plötzlich noch in vielen anderen Situationen. Bei Hitze, Kälte. Sogar bei trockener Heizungsluft. Bei besonderer Art von Raumbeleuchtung. Bei gewissen Nahrungsmitteln. Auch da waren blöde Sprüche Alltag. Warum glauben Leute, ihre Sprüche seien originell oder sie wären die ersten, die das feststellen und ansprechen? Warum bildet sich überhaupt jemand ein, er müsse das kommentieren? Hält eine Person sich für schlau, etwas so Offensichtliches zu erkennen und anzusprechen?

Irgendwann wurde es weniger. Keine Ahnung, ob die Leute es nicht mehr kommentiert haben? Oder ob es besser geworden ist? Ich glaube, es wurde besser. Denn ich wurde zwar immer noch häufig rot. Aber ich hatte nicht mehr das Gefühl, ständig wie ein Feuermelder durch die Gegend zu laufen. Irgendwie hatten die Haut, die Durchblutung und alles ein bisschen normalisiert. 

2016 dann ging es plötzlich wieder los. Vielleicht, weil das eh das klassische Alter dafür ist, in dem es so richtig ausbricht. Vielleicht, weil ich zu diesem Zeitpunkt massiven Stress hatte (Transition, Tod des Vaters, alter / neuer Job, Beziehung) und Stress einer der stärksten Auslöser ist.

Auf einmal ging das nicht mehr weg, sondern ich entwickelte zwei, drei rote Stellen, die größer wurden. Es wurde größer, wurde mehr, ich versuchte es mit verschiedenen Salben und Cremes. Arzt war anfangs kein Thema, es war ja nur eine fingernagelgroße Stelle, und hier und da etwas roter als sonst kannte ich ja schon mein Leben lang. 

Naja, irgendwann fing es an zu jucken, zu brennen, die Stelle wuchs. Bin dann doch zum Arzt. Von Dr Google halte ich wenig ("hab gegoogelt - ich habe entweder Erkältung, Malaria oder ´ne kaputte Zylinderkopfdichtung"), aber trotzdem hab ich  mal nachgesehen. Und ohne große Suchaktion stieß ich auf Rosacea. Traf alles sowas von klassisch zu, dass das für mich die einzige Erklärung sein konnte. 

Die Hautärztin sagte allerdings "nöööööö, isses sicher nicht". Verschrieb mir dann aber seltsamerweise eine Salbe, die klassisch genau dafür gedacht ist. Und tatsächlich half es. Das Jucken und Brennen verschwand, die Rötung wurde immerhin weniger. 

Und dann kam es gelegentlich immer mal wieder, dann verschwand es von selbst, dann kam es wieder. Die Salbe ließ ich mir zwischendurch von der Hausärztin verschreiben für den Notfall. Irgendwann half diese Salbe aber nicht mehr, und die Entzündung kam wieder, wurde noch größer. 

Also Mitte diesen Jahres wieder Hautarzt, diesmal ein anderer. Der diagnostizierte die Rosacea recht eindeutig und verschrieb mir ein anderes Mittel, das ebenfalls dagegen hilft. Und tatsächlich wurde es nach Monaten erstmals wieder besser. 

Inzwischen komme ich auch recht gut damit klar. Weiß, was kurze vorübergehende Schübe auslöst. Wenn möglich vermeide ich es. Manchem kann ich nicht ausweichen (beheizte Räume, Beleuchtung). Manches nehme ich in Kauf (gelegentlich kleine Mengen Alkohol, heiße Schaumbäder, scharfes Essen genieße ich schon noch ab und zu), anderes vermeide ich (bestimmte Kosmetik). 

Ich habe mich daran gewöhnt. War schon immer ein hellhäutiger Typ, und da sieht man eben jede noch so kleine Rötung sofort. Durch einen DreiTageBart kann ich das auch ein wenig verstecken, sodass es nicht so extrem auffällt. 

Trotzdem, wenn es an manchen Tagen schlimmer ist, wird es auf einmal wieder kommentiert. Aber der Tonfall hat sich geändert. Inzwischen ist es eher besorgt (auweia, hast Du Dich verletzt? Hat Dich jemand geschlagen? Bist Du gestürzt?) oder neugierig (Du bist ja ganz rot?).

Vielleicht liegt es am Alter (dass man mir gegenüber nicht mehr respektlos ist, oder dass mein Umfeld ebenfalls älter und etwas erwachsener ist als damals). Vielleicht liegt es daran, dass ich ein Mann bin (den man leider doch mit etwas mehr Respekt behandelt als Frauen, deren Körper nicht nur kommentiert, sondern auch bewertet wird). 

Es belastet mich nicht (wie ich aussehe, hat anderen gefälligst egal zu sein, diesen Schuh ziehe ich mir nie wieder an). Aber es nervt. Ehrlich, was soll ich auf so ´ne Frage antworten? "Rosacea" ist nix Schlimmes, taugt aber als Antwort wenig, weil die Leute es nicht kennen (wüssten sie davon, würden sie nicht so doof fragen). Außerdem habe ich keine Lust auf Rechtfertigung oder Erklärung. Ich finde, kein Mensch muss sich über seinen Körper in irgend einer Weise rechtfertigen. Sei es die Haarfarbe, die Gesichtsfarbe, eine ungewöhnliche Veränderung oder irgendeine Auffälligkeit. 

Also, Leute: wenn ihr jemanden seht, der rot wird oder rote Flecken im Gesicht hat: Klappe halten. Geht Euch nix an!