two hearted man
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Ausgewählter Beitrag

Packer, Stuffer, Pinkelhilfe, Aufbau, Epithese

Ich habe lange überlegt, wie ich über dieses sehr intime, persönliche Thema schreibe. Denn meine Geschlechtsteile sind meine Privatangelegenheit. Punkt. Trotzdem finde ich es wichtig, Tabus zu brechen und die Leser auf manche Dinge aufmerksam zu machen. Deswegen habe ich überlegt, es allgemein zu formulieren. Was ich hier also schreibe, ist zum Teil meine eigene Erfahrung. Und zum anderen Teil das, was ich von anderen Trans*männern gelesen oder gehört habe, anonymisiert und von verschiedenen Personen zusammengetragen. Jeder empfindet es anders, für den einen ist es Scham vor einem Outing, für den anderen ein Gefühl der Unvollständigkeit, für den nächsten eine ganz praktische Angelegenheit, für den anderen ein sexuelles Problem, für wieder einen anderen eine Kombi aus mehreren. Jedes Argument ist wichtig, und jeder Trans*mann hat das Recht auf einen Penis!


Schon schräg, dass etwas, das man im Alltag nicht sieht, so eine Macht auf uns Menschen hat, oder? Ob wir Mann oder Frau sind, definieren die meisten über die primären Geschlechtsmerkmale. Dabei sieht die keiner. [ironie]Ob ich ´nen Unfall hatte, ´nen Micropenis, ´nen fetten Socken statt eines Penis in der Hose, wer sieht das schon? Außer in irgendeiner Umkleidekabine bekommt das nicht wirklich jemand mit, und trotzdem soll das so elementar sein? Und dafür soll die Kasse soviel Kohle zahlen? Echt jetzt? [/ironie]

Oh ja! Beim Schwimmen als Mann, wenn die Hose total flach ist und sich womöglich gar "Camel Toe" abzeichnet (sichtbare Schamlippen unter einer hautengen Hose)? Wenn in der Dusche keine Badebekleidung erwünscht ist sondern Nacktduschen angeordnet? Wenn alle Jungs sich bei der Wanderung hinter den Baum stellen und man sich outen würde, wenn man sich hockt? In der Dusche und Umkleide beim Sport, in der Schwimmhalle. Beim Arzt, wenn man die Hose ausziehen soll. Wenn man im Alltag oder beim Sport eines "zwischen die Beine" kriegt und nicht so heftig reagiert weil es zwar wehtut aber kein Vergleich ist zum Tritt in die angeborenen Kronjuwelen? Beim Sitzen, wenn sich einfach so ab-so-lut nichts in der Hose abzeichnet? Wenn, ganz banal aber sehr auffällig, das Moutatinbike einen fetten Damensattel hat?

Das ist schon sehr belastend und kann dazu führen, dass mancher Transmann im Alltag gehemmt ist, sich nicht getraut an manchen Veranstaltungen teilzunehmen, sich nicht im Verein sportlich betätigt, längere Ausflüge vermeidet, nur im Notfall zum Arzt geht und sich aus dem sozialen Leben zurückzieht.  

Und dann ist da noch die emotionale Seite. Wenn man etwas fühlt, das nicht vorhanden ist. Wenn man sich beim Sex ganz automatisch bewegt, als wäre da was, nur um dann jedes Mal festzustellen "ach Mist, stimmt ja, da ist ja nix". Wenn man sich auf Toilette setzt und heulen könnte, weil man nicht die Wahl hat sondern zum Sitzen gezwungen ist. Wenn man in trauter erotischer Einsamkeit zig Hilfsmittel benötigt, um überhaupt irgendwie Lust zu empfinden und etwas zu s(t)imulieren, das nicht einmal real greifbar sondern nur im Kopf ist. Das ist eine Frustration, die Tag für Tag vorhält "Ätschibätsch, da fehlt was". 

Das ist alles sehr belastend, bedrückend. Folgen können sein: Isolation, sozialer Rückzug, Depression, Schamgefühle, Selbstwertprobleme, Verzicht auf "die schönste Nebensache der Welt". 

Die Krankenkasse ist, wenn Operation oder Hilfsmittel beantragt werden, oft ablehnend, es gibt in vielen Fällen langen Papierkrieg, oft erhält man eine Zusage erst nach Widerspruch. Trans*mann darf sich dann Dinge sagen lassen wie "im Stehen pinkeln ist kein Grundbedürfnis", "nehmen Sie halt ´nen Strap-On", "Sie haben Ihn ja nicht durch einen Unfall verloren, Sie hatten ja nicht mal einen, was brauchen Sie denn jetzt einen", "kaufen Sie halt einen billigen Packer, DEN würden wir auch zahlen". 

Sorry, aber Sex mit Strapon ist nicht dasselbe. Und ein Packer im Schwimmbad kommt klasse, wenn man einen fetten Haltegurt um die Hüfte tragen muss unter der Badehose. Oder wenn er gar verrutscht und seitlich rausfällt. [ironie]Welcher Mann hat noch nicht im Bad seinen Penis vor den Augen der anderen von den Fliesen aufheben müssen [/ironie]? Um Packer ohne Haltegurt zu tragen, muss man erst an der Unterhose basteln (Gummi einbauen zum Befestigen, bei einer Hose mit Eingriff ein Loch in die untere Lage schneiden, dafür ist auch nicht jede Hose tauglich, man ist also gezwungen nicht die Hose zu kaufen, die gefällt, sondern die Hose, die man aufgrund des Schnittes bearbeiten kann). Oder für 30 Euro aufwärts eine Spezialhose kaufen. 

Oder wenn man in der Sauna ist und weder Gurt noch Hose tragen kann. Nicht jeder Saunameister respektiert ein "aus persönlichen Gründen trage ich ein Tuch um die Hüfte". Und dann ist da noch die Angst, dass das Tuch verrutschen könnte und schwupps ist man geoutet. 

Wenn man sich mit einer Pinkelhilfe zwar ans Urinal stellt, dabei aber immer Gefahr läuft dass jemand guckt und sagt "waaas, Deiner ist grün und aus Plastik?". Oder wenn die Pinkelhilfe nicht perfekt sitzt und ein bisschen danebengeht, die Hose plötzlich voller Urin ist, mitten während man gerade in der City beim Einkaufen ist. [ironie]Yammi, lecker, immer eine Ersatzunterhose mit sich führen und diese dann im Falles eines Unfalles schön warm und feucht im Plastikbeutel zurück in die Einkaufstüte stecken.[/ironie]

Man könnte argumentieren mit "ja, dann geh halt nicht in die Sauna, geh nicht schwimmen, geh nicht in die Muckibude" oder "geh halt in die Kabine zum Pinkeln", aber auch da: Pinkeln als Frau hört sich anders an als Mann (schonmal drauf geachtet? Der Strahl eines sitzenden Mannes klingt anders als der einer Frau, einfach rein anatomisch bedingt), ständig ist da die Angst enttarnt zu werden. Und als gesunder Mensch auf jeglichen Gruppensport verzichten zu müssen und an vielen Dingen nicht teilhaben zu dürfen, das ist diskriminierend und schlecht für die Gesundheit! 

Wie gesagt, jeder Transmann geht anders damit um. Für viele sind oben genannte Gründe der Auslöser für Suizidgedanken oder gar Suizid. Andere werden "nur" depressiv. Andere können es einigermaßen verarbeiten, sind aber frustriert, ihnen fehlt was. Es gibt auch einige, die sehr gut damit umgehen. 

Es gibt auch Transmänner, die sagen "ich bin ein Mann. Das da ist mein Körper. Also ist dies der Körper eines Mannes". Sie wissen, dass Ihr Geschlechtsteil feminin aussieht, können ihren Körper dennoch als männlich annehmen und haben sich damit nicht nur arrangiert, sondern können damit ihre Lust leben, ihren Alltag genießen und selbstbewusst in die Öffentlichkeit treten. 

Ein tolles Beispiel ist Buck Angel. Pornostar, Transmann, "Man with a pussy", wie er sich nennt. Hat auch eine Doku über transmännliche Sexualität gemacht. Er ist ein Vorbild, und ich hoffe, dass ich eines Tages wie er völlig lässig damit umgehen kann. Aber momentan ist das nicht der Fall (nein, keine Angst, ich will mich nicht suizidieren. Obiger Text wie gesagt ist allgemein das, was ich von anderen gehört und erfahren habe, es gibt ein paar Männer, die sehr extrem darunter leiden. Und ja, auch ich habe schon ein paar Nächte heulend im Bett gelegen und mich gefragt, ob es für mich etwas anderes als faule Kompromisse geben kann). 

Es gehört verdammt viel Mut dazu, ohne Aufbau und ohne Prothese oder Epithese in die Sauna oder Umkleide zu gehen. Bart, tiefe Stimme, Brust mit zwei großen sichtbaren Narben, und zwischen den Beinen - äh, das Geschlecht einer Frau? Das zieht Blicke auf sich. Manche, die so in die Sauna gehen, sagen, dass sie noch nie angesprochen wurden. Klar, denn dann müsste derjenige ja zugeben, dem anderen in den Schritt gestarrt zu haben. Macht kaum einer. Trotzdem, man spürt die Blicke, und es gehört sehr viel Selbstbewusstsein dazu, diese zu ertragen und dabei dann noch zu entspannen bzw sich auf den Sport zu konzentrieren (denn dazu geht man ja ins Bad). 

Ich kann in diesem Punkt noch nicht mitreden. Derzeit sehe ich im Schwimmbad aus wie eine Frau, das ist ärgerlich, aber da ich insgesamt stimmig bin, gafft keiner. Wie ich später handeln werde, weiß ich nicht. Derzeit gehe ich nicht gerne schwimmen (hat andere Gründe, die allerdings medizinisch und zu intim für den Blog sind). Aber prinzipiell liebe ich das Wasser, mich treiben zu lassen, kräftig meine Bahnen zu ziehen. Als Kind war ich täglich schwimmen. Und ich möchte später auch wieder regelmässig schwimmen gehen, auch für mein Kreuz, und weil es mir einfach gut tut. Mal sehen, ob ich mich ohne Aufbau und Packer traue? 

Welche Möglichkeiten gibt es also, wenn man als Trans*mann im Alltag bestehen will?

Packer / Stuffer: dienen lediglich dazu, optisch den Eindruck eines Penis zu erwecken. Kann ein mit Sand gefülltes Kondom sein, kann ein realistisch aussehendes Teil aus dem Fachhandel sein, kann eine Wollsocke sein, kann ein teures medizinisches Produkt sein. Ist oft blöd zu befestigen in der Hose oder mit Gurt, siehe oben. Kann verrutschen, rausfallen, man muss immer wieder den Sitz korrigieren. Selbstgebastelt und billig sieht oft ziemlich hässlich aus, teure Produkte sind naja eben teuer, und bei den vorgefertigten Teilen passt die gekaufte Farbe selten zum eigenen Hautton, und viele Produkte sind sogar nicht einmal für den Hautkontakt geeignet und enthalten Weichmacher oder andere Stoffe.

Pinkelhilfen / PH (Stand to pee / Stp): hilft, im Stehen zu urinieren. Manche sehen aus wie ein echter Penis. Andere sind einfach nur funktionell, taugen aber nicht fürs Urinal und den fremden Blick. Problem ist, dass so ein Teil, wenn es nicht exakt an den Körper angepasst ist (dies ist nur medizinisch möglich in Form einer Prothese oder Epithese), oft eine Art Roulette ist. Manche Produkte haben nur eine sehr kleine Öffnung, da kann bei viel Druck schnell was danebengehen. Andere haben nur eine kleine Schale zum Auflegen, auch da geht schnell was daneben. Und dann ist das Problem, dass die danach ja gereinigt werden müssen, das kommt auf der Herrentoilette nicht so prickelnd. Viele billigen Pinkelhilfen eignen sich nicht als Packer in der Hose (zB eine Plastikschiene oder ein festes Röhrchen mit Trichter), müssen also gesondert transportiert werden. Da steht man also am Urinal, langt in die Tasche, holt so ein quietschbuntes Teil (am besten Rosa da ja für Frauen designt) raus, und dann geht man vor den Augen aller ans Waschbecken und macht das sauber. Oder steckt es benutzt wieder in den Rucksack. Suuuuupi, echt toll. Kann mir einer sagen, warum die Krankenkasse glaubt, dass das unsere Probleme löst, uns die Ängste vorm Outing nimmt und uns am regulären männlichen Leben teilhaben lässt? Ich experimentiere zu Hause sehr viel, habe mich mit einer Pinkelhilfe aber noch nicht in die Öffentlichkeit getraut, weil mir das Risiko eines Missgeschickes zu groß ist.

Aufbau: Aus Hautschichten des eigenen Körpers wird ein Phallus inclusive Harnröhre aufgebaut. Ist für viele DER Traum, das Ende ihres bisherigen Leids. Für andere aufgrund der Risiken absolut keine Option und eine Horrorvorstellung. Das ist ein sehr komplexes, langes und auch intimes Thema, deswegen möchte ich hier nicht zu ausführlich werden. 

Epithese: medizinisch gefertigt. Sieht aus wie echt, wird mit einem Hautkleber aufgetragen, hat je nach Anfertigung verschiedene Funktionen. Ist ein medizinisches Hilfsmittel. Epithetiker fertigen zB auch fehlende Körperteile, etwa wenn durch Brand oder Unfall Ohr, Nase, Augen kaputt sind. Seit zwei, drei Jahren gibt es in Deutschland zwei Epithetiker und einen Maskenbildner, die auch begonnen haben für Trans*männer individuelle Geschlechtsteile zu fertigen. 

Es gibt funktionelle Pinkelhilfen schon für unter 10 Euro. Realistisch aussehende Packer oder Pinkelhilfen gibt es je nach Material und Ausführung von 10 bis 1000 Euro (wobei selbst 1000 Euro nicht wirklich toll sind, wenn es nicht dem eigenen Körper angepasst ist in Form und Farbe und Größe). Eine Epithese kommt je nach Ausfertigung auf ein paar tausend Euro, da steckt wochenlange Arbeit drin. Die Kosten für eine Operation kenne ich nicht, aber die stehen wohl in keinerlei Vergleich, erst recht wenn man entsprechende Korrekturen und Nachsorge bedenkt. Trotzdem habe ich schon häufig gehört, dass zwar ein Aufbau genehmigt wurde (also die riskante, teure OP), eine medizinische Epithese (teuer, aber ohne Risiko und billiger als OP) dagegen abgelehnt wurde. Ist das nicht schräg? Und wie kann die Krankenkasse glauben, dass eine realistische Epithese ersetzt werden kann durch nen billigen 100 Euro Packer aus dem Internetshop? 

Kurzfassung: Trans* zu sein, kann verdammt demütigend sein. Und die Angst vorm Outing steckt oft in völlig banalen Alltagssituationen.

2heartedman 16.11.2015, 20.23

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