two hearted man
Interne Seiten
RSS 2.0 RDF 1.0 Atom 0.3
2024
<<< April >>>
Mo Di Mi Do Fr Sa So
01020304050607
08091011121314
15161718192021
22232425262728
2930     
Statistik
Einträge ges.: 1238
ø pro Tag: 0,4
Kommentare: 263
ø pro Eintrag: 0,2
Online seit dem: 05.12.2014
in Tagen: 3422

Ausgewählter Beitrag

Outing damals und heute

Die Zeit geht voran, und meine Meinungen und Einstellungen ändern sich. Zum Beispiel das Thema Outing ist für mich inzwischen ein komplett anderes als damals.

Habe "damals" (omg, wie das klingt) im Blog einige Beiträge zu dem Thema geschrieben. Und rückblickend, wenn ich das lese, stelle ich fest, dass ich zwar noch hinter dem stehe, was ich damals getippt habe. Aber dass sich mein Umgang mit dem Thema "Outing" dennoch geändert hat. Einfach, weil meine Situation heute eine völlig andere ist. 

Damals wurde ich noch weiblich gegendert, oder mein Gegenüber war unsicher, und oft war ich in Erklärungsnot oder musste mich rechtfertigen. Das bin ich heute nicht mehr. Wenn ich mich heute oute, dann ist es kein "aha, das habe ich mir gedacht" oder "jup, das erklärt so manches", sondern es ist eine Aussage, die für den Gegenüber ziemlich überraschend kommt. 

Inzwischen bekomme ich zu hören "Du möchtest also eine Frau sein?" (woraufhin ich dann nochmal genauer erklären muss, dass ich die Transition nicht anstrebe sondern bereits hinter mir habe) oder "krass, das hätte ich nie für möglich gehalten, echt jetzt?" 

Menschen werden durch mich mit verschiedenen Dingen konfrontiert. Und für manche kann das durchaus belastend sein. Gerade, wenn jemand mit sich selbst zu kämpfen hat, kann das an die Substanz gehen. Ich habe erlebt, dass mein Outing dazu führt, dass Menschen an sich selbst zweifeln, sie sich selbst hinterfragen und in eine negative Gedankenspirale geraten. Bei instabilen Menschen kann dies zu einer Krise führen, die ich zwar nicht zu verantworten habe aber die ich ja auch nicht provozieren muss. Verzeihung, wenn das dramatisch klingt, aber ich habe beruflich und privat eben tatsächlich auch mit psychisch belasteten Menschen zu tun, für die das tatsächlich ein heftiger Auslöser sein kann. 

So wichtig es mir ist, Menschen zum Nachdenken zu bringen und offen zu leben, so unverantwortlich fände ich es, mich aufzudrängen. Klar, in den Medien werden sie auch damit konfrontiert. Aber es ist etwas anderes, wenn Person X im Fernsehen dies ganz allgemein tut, oder ich persönlich auf sie zugehe und sage "hey, übrigens, das ist für Dich zwar völlig irrelevant, aber ich drück Dir das jetzt trotzdem mitten ins Gesicht". 

Außerdem genieße ich es, ungeoutet zu sein. Wenn ich im Urlaub bin, wenn ich in einer fremden Stadt bin, wenn ich unter Fremden bin - dann ist es unglaublich befreiend. Da wäre ich schön blöd, wenn ich das jedem sofort auf die Nase binde!

Sobald ich aber den privaten Kontakt zu einem Menschen oder einer Gruppe intensiviere, möchte ich mich tatsächlich doch lieber outen. Man tauscht sich aus über vergangene Erlebnisse. Erzählt einander aus dem Privatleben. Spricht über die Familie. Vielleicht geht man mal zusammen schwimmen oder zum Sport und landet gemeinsam in der Umkleide. Und dann habe ich einfach keine Lust auf dieses blöde Kopfkino "was denkt der über meine Narben" oder "wie formuliere ich das jetzt so, dass ich mich nicht verrate". Klar ist das Kopfkino, und vermutlich würde keiner fragen. Aber ich fühle mich tatsächlich wohler, wenn ich ganz unbeschwert reden und agieren kann.

Ich will dann gar nicht, dass da ein Fass aufgemacht wird und das ein riesiges Thema ist. Ich möchte einfach, dass die anderen es wissen und ich dann unbefangen reden / agieren kann. Lieber einmal bewusst outen und Fragen beantworten, als später dann in einer unpassenden Situation überrumpelt zu werden.

2014 habe ich mich privat geoutet, Januar 2016 fing ich an mit Hormonen, seit Mitte 2018 etwa habe ich durchgehend Passing. In dieser Zeit konnte ich mich gut erproben. Habe ich das Bedürfnis nach Outing oder Stealthsein? Wenn ich mich oute, wie möchte ich das tun? Wie reagiere ich auf Fremdouting? Wie reagiere ich auf übergriffige Situationen? Wie fange ich jemanden auf, der davon überfordert ist? Was möchte ich erzählen, und was ist mir zu intim? 

Dabei habe ich manches erlebt. Habe auch schon mal zuviel erzählt. Oder im falschen Moment geschwiegen. Mich bei der falschen Person geoutet und es hinterher bereut. Habe ungünstige Worte gewählt und mich hinterher geärgert. Aber Outing ist eben etwas, das man in keinem Lehrbuch findet. Jedes Outing ist so individuell wie die Person, die es durchzieht. Und jede Situation ist so einzigartig wie die zwei oder mehreren Menschen, die in diesem Moment miteinander in Kontakt treten. 

Was "damals" und "heute" unterscheidet: ich bin souveräner geworden. Klar mache ich mir manchmal noch Gedanken, ob es vor dieser Person sinnvoll ist mich zu outen, oder wie ich es formulieren soll. Aber es belastet mich nicht mehr, und ich kann in überraschenden Situationen auch gut kontern und spontan reagieren. 

Es ist mir inzwischen relativ egal, ob ich geoutet bin oder nicht. Ich bewege mich lässig im Alltag. Wer es wissen sollte, der weiß es. Wer es nicht wissen muss, dem sage ich es nicht (und kümmere mich nicht mehr darum, ob er es von anderen erfahren hat oder nicht). Und in allen anderen Situationen agiere ich spontan nach Bauchgefühl.

Ich genieße meine neue Freiheit und kann endlich anfangen, mich anderen Themen des Lebens zu widmen :-)

2heartedman 01.08.2019, 16.59

Kommentare hinzufügen

Die Kommentare werden redaktionell verwaltet und erscheinen erst nach Freischalten durch den Bloginhaber.



Kein Kommentar zu diesem Beitrag vorhanden