two hearted man
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Ausgewählter Beitrag

Meine frühere OP

Habe ja schon angekündigt, dass ich bald mehr zum Thema "Brüste" schreiben werde. Jetzt nehme ich mir also mal die Zeit. Denn das ist ein doch sehr emotionales Thema für mich ... 


In der Jugend kam ich einigermaßen klar. Wirklich leiden konnte ich die Brüste nie, aber irgendwie war es auch schön, dass mein Umfeld dadurch etwas positiver reagierte. Im Sinne von "es gab auch mal Komplimente". Ich war als Mädchen / junge Frau einfach falsch, das bekam ich immer wieder zu spüren. Als Junge / Mann wurde ich nie anerkannt, und daher gab es stets Tadel. Obwohl ich die Brüste nie mochte, tat es also trotzdem gut, ab und zu auch einmal etwas Nettes zu hören. Zwar nicht über mich, aber über meinen Körper. Immerhin etwas. Balsam für ein Seelchen, das immer nur hören durfte, wie falsch es doch ist.

Groß herausgeputzt, sie präsentiert, in tolle BHs gepackt oder den Ausschnitt betont habe ich allerdings nie. Denn Komplimente hin oder her fühlte es sich komisch an. An meinem Körper hinunter zu blicken und nicht sofort auf Bauch, Beine zu blicken sondern diese Kissen zu sehen. Sie verstecken zu müssen im Schwimmbad. Vor allem unter der Dusche und in der Badewanne fühlte es sich einfach komplett falsch an. Und beim Sex wollte ich sowieso immer das Shirt anlassen, der Anblick dieser wackelnden Dinger mag Männer vielleicht erregen, ich fand es einfach widerlich. 

Es klingt sehr widersprüchlich, wenn ich schreibe, dass ich einerseits damit klarkam, sie andererseits verabscheute. Ich glaube, dieser Zwiespalt ist vermutlich typisch für viele Trans*. Deswegen nenne ich meinen Blog ja auch "Two Hearted Man". Seit ich denken kann war ich zwiegespalten. Hin- und hergerissen zwischen den Bedürfnissen Anerkennung vs Selbstverwirklichung. Egal, was ich tat, einer war immer Unzufrieden: die Umwelt oder ich. 

Und dann bekam ich eines Tages eine Diagnose. Der Arzt sagte mir, dass ich zwei Knoten in der Brust hätte. Auch hier der Zwiespalt: Einerseits - mir das einzige nehmen zu lassen, wofür ich ab und zu doch noch respektvolle Blicke ernte? Andererseits - raus mit den Knoten, weg mit den Brüsten, endlich kommt das raus, und wenn sie nicht abkommen, werden sie hoffentlich wenigstens kleiner dadurch. Ich wage es nicht zu schreiben, aber ... manchmal habe ich mir sogar gewünscht, ich hätte Brustkrebs, damit man das endlich wegoperiert. Und klar, für diese Gedanken schämte ich mich auch, denn sich Krebs zu wünschen ist verrückt und respektlos gegenüber den Betroffenen. 

Der Arzt erklärte mir nicht, was es damit auf sich hatte. Nannte Fachbegriffe, meinte "ist harmlos, kann raus aber muss nicht, würden wir nicht machen". Da er alles so schnell heruntergerattert hatte, wusste ich das Wort nicht. Internet gab es noch nicht, und in der Bücherei konnte ich ohne den Fachbegriff nicht nachschlagen, hatte nicht den Mut zu sagen "ich will das notieren, bitte sagen Sie das nochmal".

Also rannte ich zum nächsten Arzt. Der erklärte mir auch nix. Der sagte nur "ziehen Sie sich aus und setzen Sie sich da in das Kämmerchen". Dann saß ich dort, eine halbe Stunde, komplett nackt, es war recht frisch, das Kämmerchen sehr eng. Er untersuchte mich, gab mir keine Diagnose, meinte aber, dass da zwar Knoten seien, aber OP wäre nicht nötig. Im Gegenteil, bei einer OP könne Komplikationen geben, zB dass eine von beiden komplett abstirbt und man mir eine abnehmen muss und ich halbseitig rumlaufe. Erzählte mir Schauergeschichten von anderen Betroffenen. Ich bekam Angst und war ratlos.

Angst. Freude. Absterben? Wäre ich dann gezwungen, halbseitig rumzulaufen mit einer Prothese, oder könnte man mir dann vielleicht doch die andere abnehmen, damit es beidseitig ist? Ob die sich darauf einlassen würden? Aber hässliche fette Narben überall? An den Brüsten? Das einzig Weibliche an mir, und nun auch noch das entstellen, sodass die Umwelt mich hässlich findet und ich nicht einmal mehr diese Anerkennung bekomme? Im Schwimmbad von allen angestarrt werden wegen hässlicher Narben oder unförmiger Wülste? 

Dann fand ich endlich eine Frauenärztin (wenn man auf dem Land lebt und kein Auto hat, sind Fachärzte rar). Die hat mich zwar auch nicht wirklich aufgeklärt und nur mit Fachbegriffen um sich geworfen. Aber sie verstand wenigstens, dass ich die Knoten entfernt haben möchte. Sagte, sie wolle auch nicht irgend etwas im Körper haben, bei dem immer wieder kontrolliert werden muss, ob es noch gutartig ist oder schon bösartig wurde. 

Sie schrieb mir die Überweisung ins Krankenhaus. Dort lag ich dann. Vorher eine Aufklärung gab es nicht wirklich, ich wurde einfach dort reingebracht. Ich hätte sehr viele Fragen gehabt. Zum Beispiel ob ich später stillen kann (Kinder wollte ich nie, aber ich wusste, dass die Gesellschaft es von mir erwartet). Ob ich danach noch Gefühle in der Brust haben würde. Wie andere Frauen damit umgehen, wenn sie an der Brust operiert werden. Aber weder hat der operierende Arzt mich zum Gespräch geholt, noch hätte ein Seelsorger, Psychologe oder Sozialarbeiter vor Ort mich aufgefangen. Man hat mir nicht einmal erzählt, dass es diese Möglichkeit gibt. 

Da lag ich also. Wusste nicht, was das Zeug da ist. Aber ich wusste, dass es weg muss. Am liebsten alles, nicht nur die Knoten. 

Nach der Operation war ich ziemlich beduselt. Hatte großen Hunger, und es gab auch schon Essen. Man hatte es mir auf die Ablage neben dem Bett gestellt. Diese war aber etwa einen Meter von mir entfernt. Durch die Schmerzen rechts und links (beide Seiten wurden geschnitten) konnte ich die Arme noch nicht bewegen. Geschweige denn Kraft aufwenden, um den Tisch an mich heranzuziehen. Da stand also das Essen, einen Meter von mir entfernt, und ich habe es nicht erreicht. Als die Schwester kam, bat ich sie den Tisch zu mir zu schieben. Sie guckte mich abfällig an, meinte "simulieren Sie nicht so, das können Sie ja wohl selbst" und schob ihn so heran, dass ich ihn zwar erreichte, der Kraftaufwand ihn nah genug heranzuziehen aber gewaltig wehtat und ich sorgte, dass die frischen Nähte reißen könnten. 

Als ich dringend auf die Toilette musste, war gerade Besuch bei der Bettnachbarin. Ich klingelte nach der Schwester. Sie hatte aber keine Lust, mich auf die Toilette zu führen und schob mir einfach eine Bettpfanne unter den Hintern. Vor den Augen aller Anwesenden (unter anderem ein Familienvater und zwei Kinder). Das war einer der demütigsten Momente ever, an die ich mich je erinnere. Heute würde ich mir so etwas nicht gefallen lassen, aber damals wusste ich mich noch nicht zu wehren. 

Dann wurde ich entlassen. Die Verbände wurden entfernt. Der linke Schnitt wurde sehr gut gesetzt, man sieht ihn nur, wenn man es weiß. Der rechte Schnitt ist Metzgerarbeit, eine fette wulstige Naht. Niemand erklärte mir, wie man Narben pflegt, auch erklärte mir niemand, worauf ich nach der OP achten müsse. Ich wurde einfach nach Hause geschickt. Dass man Narben pflegen muss, habe ich auch erst viele Monate später zufällig erfahren. Dementsprechend hässlich sieht das heute aus. Aber ehrlich gesagt, mir war das auch egal, nackt durfte ich mich als Frau eh nie zeigen. Erst jetzt fängt das an mich zu ärgern, denn die ist schon recht plakativ, diese Narbe :(

Meine Familie reagierte sehr unsensibel. So war es zum Beispiel in der Kirche üblich, sich zur Begrüßung die Hand zu geben. Aber einige Wochen nach der OP tat mir das weh. Der Schnitt war neben der Achselhöhle, sodass jede Bewegung des Armes an den Fäden zog, den Grind verschob und schmerzte. Also gab ich die linke Hand oder nickte einfach nur. Die Leute pochten dennoch auf die Hand. Wenn ich sagte "mein Arm schmerzt", sagte meine Oma nur "stell Dich nicht so an" oder "was sollen denn die Leute von mir denken, dass Du so unhöflich bist". Also gab ich unter Schmerzen brav Pfötchen wie ein dressierter Hund. Wie erbärmlich! 

Lange danach noch spürte ich Verhärtungen, das Gewebe war stellenweise schon arg in Mitleidenschaft gezogen. Komisches Gefühl, und das hielt ziemlich lange an. Ich frage mich, wie heftig das sein wird, wenn ich dann nicht nur Knubbel entfernt sondern tatsächlich eine Männerbrust bekomme. Das war damals unangenehm, und ich weiß, dass es diesmal wieder so sein wird. Die Schmerzen, das langsam heilende Gewebe. Aber ich werde es genießen und mich darüber freuen, und jedes Mal, wenn es ziept, werde ich wissen, wofür ich das getan habe!

Viele Jahre hatte ich danach Ruhe. Trotzdem war immer wieder diese Unsicherheit. Immer wieder tastete ich ab, bei jeder kleinen Drüse, jeder kleinen Veränderung, jedem Knubbel hatte ich sofort Angst, dass da wieder etwas sein könnte. Zumal ich ja bis dato nicht einmal gewusst hatte, was das überhaupt war. 

Erst viele Jahre später sollte ich es erfahren: Vor einigen Jahren entdeckte ich wieder einen Knoten. Die Frauenärztin bestätigte dies. Und sie erklärte mir dann auch, was das war / ist. Ein Fibroadenom, das ist im Grunde harmlos, meistens gutartig, kann gelegentlich größer und eher selten bösartig werden, kann aber auch kleiner werden oder verschwinden. Und wenn man es operiert, ist es nicht weg, sondern sowas kann im Laufe des Lebens immer wieder kommen. Und hat mit dem klassischen "Krebs" erstmal nix zu tun. Aber es muss halt beobachtet werden. Wenn es zu groß wird oder wenn es zuviele werden, muss man vorsichtig sein. 

Ich habe recht viele davon, ´ne ganze Handvoll. Und die sind stellenweise auch ziemlich gewachsen. 

Dazu kommt, dass ich sehr dichtes Drüsengewebe habe. Und das war unzählige Jahre massiv geschwollen. Dass gegen Ende des Zyklus das Gewebe anschwillt ist normal, aber bei mir war das quasi Dauerzustand. Die Ärztin meinte zu mir, dass ich beinahe das Gewebe einer hochschwangeren Frau hätte. Hormontests, eine Hormonsalbe, ein paar pflanzliche Medikamente, ich habe ´ne Menge versucht, es wurde nie besser. Sondern immer schlimmer. Je weniger ich das Frausein in den letzten Jahren akzeptierte, desto schmerzhafter wurden die Brüste.

Irgendwann so schlimm, dass die kleinste Berührung schmerzte. Bügel-BHs taten weh, beim Schlafen war es übel auf der Seite oder auf dem Bauch zu liegen. Den Beziehungsaspekt lassen wir mal diskreterweise beiseite und belassen es bei "sogar eine Umarmung zur Begrüßung tat verdammt weh". Die Ärztin riet mir dazu, Schwangerschafts-BHs zu kaufen, aber das war mir nicht möglich, in mir sträubte sich alles, lieber wollte ich die Schmerzen ertragen. Immerhin halfen die Tabletten, dass es nicht ganz so schlimm war. 

Dann kam der Entschluss zur Transition. Und just an dem Tag, als ich es aussprach - verschwanden die Schmerzen, gingen die Schwellungen zurück. Die Ärztin konnte problemlos tasten und beim Ultraschall sogar etwas erkennen. Gut, gegen zyklusbedinge Veränderungen bin ich nicht immun. Aber diese permanente Unantastbarkeit war wortwörtlich über Nacht verschwunden. Ob die Knoten zurückgegangen sind, habe ich seitdem noch nicht checken lassen. Ist mir irgendwie auch völlig egal, sollen sie doch wachsen oder schrumpfen, in ein oder zwei Jahren sind sie eh weg. 

Tja, das war es soweit. Und ich finde es für mich selbst faszinierend. Frage mich oft, wieviel Psychosomatik dahinter steckt. Oder ob es einfach Zufall ist. Aber für einen Zufall erscheint mir das doch etwas zu markant. 

Bald ist es soweit ... 
Bald darf ich mit freiem Oberkörper schwimmen ... 
Bald sehen an mir Hemden wieder gut aus ... 
Bald werde ich auch äußerlich zum Mann ... 

(Anmerkung: und ich hatte in diesem Beitrag große Probleme, das Wort "Brüste" überhaupt auszuschreiben. Ich weiß, dass es albern ist, deswegen habe ich es trotzdem getan. Trotzdem sträubt sich etwas in mir. Und ich habe verdammt große Probleme, einen Betreff zu finden ohne dieses Wort zu nennen)

2heartedman 30.05.2015, 14.40

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