two hearted man
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Ausgewählter Beitrag

Männliche Vorbilder

In einem >anderen Beitrag< habe ich ja bereits geschrieben, warum ich Rollenvorbilder für Trans*idente für notwendig erachte. Tja, diesen Schritt der Selbsterkenntnis habe ich also bereits getan. Jetzt steht das nächste Hindernis an: Vorbilder bei den Cis-Männern zu finden ;-)


Im Forum lese ich in verschiedenen Formulierungen oft die Frage "wie definiert Ihr Männlichkeit" oder "was muss ich tun, um männlicher zu wirken". Selbst Grönemeyer fragt sich "wann ist ein Mann ein Mann". Und auf Arbeit kämpfe ich hart, um ein paar Jungs die Nachteile falsch interpretierter Männlichkeit beizubringen und sie echte Courage ohne Klischees zu lehren. Lassen wir mal den soziologischen Aspekt außen vor - ja, WANN bin ich denn jetzt eigentlich ein Mann? 

Jeder sagt etwas anderes darauf. Ein Soziologe wird dies antworten, ein Psychologe jenes, der Mediziner was anderes als der Philosoph, der Marinesoldat was anderes als der Zivildienstleistende. "Mann" ist meiner Ansicht nach ein gesellschaftliches Konstrukt, das erstmal nur das Aussehen des Körpers beschrieb und dann verwendet wurde, um daraus alles mögliche abzuleiten, was im Klischee vielleicht zutreffen mag aber keinesfalls allgemeingültig ist. Schublade auf, Pimmelche rein, fertig.

Im Gespräch mit anderen Trans*männern fällt mir auf, dass männliche Eigenschaften und Verhaltensweisen vor allem durch das Umfeld definiert werden.Deswegen habe ich so für mich überlegt, wie mein Umfeld aussieht und was ich unter Männlichkeit verstehe.  

Früher war es ganz anders. Da wuchs ich auf dem Land auf, umsorgt und gehegt (erdrückt) von der Kirche. Da hieß es "Der Mann ist die 1 und die Frau die 0. Und wenn die Frau hinter dem Mann steht, sind beide ein Vielfaches" *würg*. Sorry, diese Aussage ist mehr als lächerlich und diskriminierend! Habe mich schon damals unbeliebt gemacht, als ich mich vehement dagegen wehrte. Aber die Rollenbilder in der Schule und in der Kirche waren absolut klar, sowohl bezogen auf Kleidung als auch Rechte, Pflichten und Aufgaben. 

Mann = Ernährer, stark, packt zu, handwerklich begabt, technisch versiert, gut in Naturwissenschaften, verdient die Kohle und teilt sie für die Frau ein (sogar gesetzlich geregelt), Bestrafer bei Misachtung der Hausregeln, zurückgezogen, ernst, streng. Darf in der Kirche am Altar stehen, den Chor dirigieren. Die Jungs machten die coolen Sportarten, durften Armbrustschießen und wurden weniger für ihr Zappeln und Toben ermahnt.

Frau = hat zu ertragen, muss sich hinter dem Mann verstecken, schlecht in Naturwissenschaften, kein praktisches Geschick, handwerklich unbegabt, wird vom Mann versorgt, erzieht die Kinder, hält den Haushalt sauber, geht einkaufen, teilt das ihr zugeteilte Geld ein, versorgt Gäste, geht für Nachbarn einkaufen, leidet still und erträgt, ggf macht sie hinter dem Rücken des Mannes ihr eigenes Ding. Das Mädchen ist ruhig, wird gelobt für Fleiß und Schönheit, getadelt für Toben und Vorwitzigkeit. Außerdem müssen Mädchen Tanzen und machen bescheuerte Gymnastik. 

Mädchen die pfeifen und Hühner die krähn, muss man beizeiten den Kopf rumdrehn. Der Mann errichtet das Haus, die Frau richtet es hübsch ein. 

Im Studium war ich umgeben von Emanzen und Feministinnen. Also, prinzipiell erstmal nichts gegen Feministinnen und Emanzen. Aber das war schon etwas viel, und dem dortigen Klischeebild wollte ich niemals entsprechen. Habe mich verdammt unbeliebt gemacht, als ich der Ansicht war, dass Gleichberechtigung nichts mit Besserbehandlung zu tun hat sondern mit gleichen Rechten für alle, also auch für Männer (Elternzeit, Röcke tragen, Gefühle zeigen usw). Im Studium lernte ich, dass Männer ziemlich wertlos sind und Frauen sich für was Besseres halten.

Meine aktuellen beruflichen Erlebnisse, hm. Ich arbeite sowohl mit White- als auch Blue-Collars unter einem Dach. Vorbild sind für mich keine von beiden. Männer können ganz schön intrigant und hinterfotzig sein, und Büro ist Krieg. Und von der anderen Seite der Männerfraktion erlebe ich viele plumpe Klischees, an denen ich mich ebenfalls nicht messen möchte. Irgendwie ist mir das alles zu steif / arrogant auf der einen, zu platt / niveaulos auf der anderen Seite. Da fühle ich mich nirgends heimisch. Und hätte ich privat keine Vorbilder und müsste mich dort messen, oh Gott, ich würde nicht damit klarkommen und ständig an einer Identitätskrise leiden!

Vulgäre Männerrunden kenne ich schon von früher auch, gerade im Freundeskreis der Familie habe ich das damals häufiger erlebt und war immer ziemlich angewidert. Das war ein ständiger Schwanzvergleich, über Frauen wurde negativ hergezogen, der Tonfall war ruppig, und wer am besten trinken konnte war der Held, yeah. Das hat mich schon damals angewidert, und obwohl ich mich männlich fühlte, zog es mich doch eher zu den Feingeistern (als Kind waren meine Vorbilder Justus Jonas, Wicky der Wikinger und andere "Denker". Und mit Michl konnte ich mich schon immer besser identifizieren als mit Pippi. Als Jugendlicher später las ich sehr viel Oscar Wilde und Kafka).

Gott sei Dank gibt es neben Kindheit, Jugend, Beruf und Kirche auch noch das aktuelle Privatleben! Und ich bin sehr dankbar, dass mein heutiges privates Umfeld sehr locker ist. Ehrlich gesagt erkenne ich oft wenig Unterschiede. Klar sehen die Männer und Frauen anders aus. Klar haben die Männer zum Teil andere Hobbies (ich hing eh schon immer mit Bikern und IT-Freaks ab, schon in der Schule wurde ich Rockerbraut und später im Studium Nerdgirl genannt). Aber das Gros ist sehr offen in vielerlei Hinsicht.

Von meinem veganen Umfeld privat und im Internet muss ich wohl nichts sagen. Männer, die mit Tieren kuscheln, die friedlich für eine bessere Welt kämpfen, die sich nicht schämen zu ihren Gefühlen zu stehen, die gerne kochen und sehr aufgeschlossen sind, ihre Waffen sind Wort und Tat. Love and Peace!

Wenn ich an das große Treffen in ein paar Tagen denke, das wird auch toll: um die 30 bis 40 Leute, ein Großteil davon Männer. Habe schon viel Zeit mit ihnen verbracht. Die sind entspannt und relaxt. Vespafahrer, also Biker *lol*, allerdings von der entspannten Sorte. Ich habe bisher noch nicht erlebt, dass einer dem anderen irgend etwas hätte "beweisen" müssen. Es gibt nicht wirklich einen Unterschied darin, wie Männer oder Frauen behandelt werden, nämlich beide wie Kumpel und mit Respekt. Manche von ihnen sind durchtrainiert, sportlich, können begeistert an ihrer Maschine basteln und haben zu Hause einen ganzen Fuhrpark. Andere schwingen lieber den Politur-Lappen, fahren nur bei Sonnenschein und überlassen die Arbeit der Werkstatt und trinken währenddessen gemütlich einen Kaffee. Ich zähle mich zu letzteren und fühle mich keineswegs unmännlich, nur weil ich nicht weiß, was Variomatik ist oder wie man das Navi an die Zündung anschließt oder ´ne Zündkerze wechselt :-)

Und mein Freundeskreis? Ein paar Beispiele? Ein Kumpel von mir ist bisexuell, näht und bastelt gerne (zB Schmuck, Umhängetasche), lebt polyamor, ist handwerklich begabt, interessiert sich sehr für Kunst und Kultur, ist recht feingeistig, mit ihm rede ich über Emotionen wie mit keinem anderen, er ist der beste Zuhörer den ich kenne und mein privater Therapeut, bester Freund und Vertrauter. Ein anderer Kumpel sieht aus wie ein Bodybuilder, ist Türsteher, ist super stark, aber er hat ein weiches Herz wie kein anderer, er ist verständnisvoll, und er kann nonstop reden / plappern wie eine Frau *g*, redet recht melodisch, engagiert sich in der Jugendarbeit und gäbe einen total klasse Daddy ab (wenn er nicht ständig in die Friendzone rutschen würde). Ein anderer Kumpel tritt optisch sehr männlich auf (muss er wohl nach außen in seiner Situation), doch wenn man mit ihm redet, entpuppt er sich als äußerst sensibel und feinfühlig, außerdem hat er Hobbies, dass Mädchen vor Neid erblassen würden. Ein Freund ist bi, hat eine weibliche Frisur, hat eine sehr melodische Sprechweise, hat einen typisch weiblichen Beruf und wirkt insgesamt sehr feminin. Ein anderer Freund hat zwar einen technischen Beruf, ist aber sehr sprachbegabt, feingeistig, redet sehr leise, weich, hat wenig Interesse an typisch männlichem Gebaren, hat eine ultrazarte Haut und versteht mehr von Mode als jede Frau, die ich kenne. 

Bisher war ich sehr zurückhaltend, was meine maskuline Seite betrifft. Aber seit dem Outing bin ich direkter, lasse es öfter mal raus. Und auch, wenn mir die zweite hormonelle Pubertät noch bevorsteht, bin ich bereits in der Phase, wo es gilt mich zu erproben, mich "zu beweisen". Wie gesagt, ich muss keinem etwas beweisen, aber manchmal passiert es trotzdem. Da ist dieses Gefühl "ich bin cool, ich bin hart, ich bin ein Kerl, und ich will, dass alle es sehen". WENN es dann mal rausrutscht, wenn ich dann mal eine Zote ablasse oder nen Machospruch äußere oder in meiner Gestik etwas zu weit auf die Klischee-Seite abrutsche, ernte ich zurechtweisende Blicke. Diese Gangsta-Gesten sind einfach nicht üblich bei uns, und über Frauen redet man respektvoll. Manchmal bin ich im Restaurant der einzige, der Alkohol bestellt, während um mich herum alle Saft oder Schorle trinken, und dann bin ich es, den man schräg ansieht ;-)

Ich bin stolz auf meinen Freundeskreis. Wo Männer sich nicht über Bärte, Muckis, Machogebaren, Alkohol, Gewalt, Gehalt, Fleischkonsum oder andere Klischees definieren. Sondern wo für Männer das gleiche gilt wie für Frauen und alle anderen Menschen: Respekt, Anstand, Dankbarkeit, Demut, Tatkraft, Loyalität, Verlässlichkeit, Treue, Offenheit. Mut, zu sich selbst zu stehen. Achtung vor dem Leben. 

Mann zu sein bedeutet für mich also einfach nur, Mensch zu sein. Ein Mensch, der zu sich steht und andere achtet. 

Auch, wenn ich mich keiner Religion (mehr) zugehörig fühle, lässt sich das hervorragend zusammenfassen: "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst". Oder etwas asiatischer: "Wir alle sind Eins" :-)

*********

Welche Rollenvorbilder hattest Du in Deiner Jugend? 
Gibt es aktuell Vorbilder, denen Du nacheiferst? 
Stimmt Dein soziales Umfeld mit Deinem Empfinden überein?
Wem möchtest Du etwas beweisen?

2heartedman 13.08.2015, 20.19

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