Am Bahnhof steht seit Jahren eine Frau einer bekannten Kirche. An immer der gleichen Stelle. Sie hält ihre Heftchen hoch und lächelt die Passanten freundlich an. Nickt ihnen zu. Und sogut wie fast alle gehen weiter. Manchmal sehe ich sie im Gespräch, aber fast immer ist sie alleine.

Frühling, Sommer, Herbst, Winter. Morgens, Mittags, Abends. Ich habe noch keine Strichliste geführt. Aber ich habe das Gefühl, dass sie fast immer dort steht. 

Mögen andere das bescheuert finden. Oder über sie lachen. Oder sich ihren Teil denken. Aber ich finde das irgendwie sogar inspirierend. Denn sie wirkt nicht unglücklich. Im Gegenteil, sie lächelt und strahlt etwas Positives aus. Dass sie dort immer steht, scheint für sie keine Pflicht zu sein, sondern es scheint ihr Freude zu bereiten. Sie brennt dafür und ist wohl davon überzeugt.

Ich stelle mir vor, dass ihr das Kraft gibt, und dass sie es gerne tut. Dass es ihr aufgrund ihres stattlichen Alters schwerfällt auf den dünnen Beinen zu stehen, und dass sie wohl auch von einigen Leuten mitleidig begafft wird und einige blöden Sprüche zu hören bekommt. An manchen Tagen im Winter ist es wohl ziemlich kalt, im Sommer viel zu heiß. 

Man mag von dieser Religion halten, was man will, darum geht es hier gar nicht. Und darüber will ich hier auch gar keine Diskussion. Mir geht es darum, wie unerschütterlich diese Frau dort immer steht. Welches Durchhaltevermögen sie beweist für eine Sache, die ihr so wichtig ist. Und mit welcher Engelsgeduld sie das durchzieht, und wie lebendig sie dabei wirkt. Das finde ich bemerkenswert, und davon kann sich manch einer ´ne Scheibe abschneiden, der täglich neue Ausreden findet, um es sich zu Hause bequem zu machen ...