two hearted man
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Gutachten Nummer Zwei

Das zweite Gutachten lag im Briefkasten. 19 Seiten war es lang und ganz schön viel zu lesen.


Wie auch die erste Gutachterin hat er tatsächlich exakt das geschrieben, was ich erzählt habe. Keine Textbausteine, sondern eine differenzierte Wiedergabe und Analyse meiner Worte. Ich betone das deswegen, weil ich ja zu Beginn einige Male bei einem Psychiater war, der mir ein paar Arztbriefe erstellte (zB für den Endokrinologen usw), und der verwendete gerne Textbausteine. Er hat es geschafft, in einem zehnminütigen Gespräch so ziemlich alles falsch zu verstehen und noch falscher aufzuschreiben bzw mir fremde Bausteine anderer Personen einzubinden. Daher war ich natürlich skeptisch. 

Aber wow, super geworden. Vor allem: er saß nur neben mir und notierte von Hand. Trotzdem hat er auf 19 Seiten alles sehr exakt wiedergegeben, teilweise sogar meine identischen Formulierungen. Ich frage mich, ob er heimlich ein Tonband laufen ließ? Aber das wäre nicht rechtmäßig, darüber hätte er mich informieren  müssen. Wenn er das wirklich alles nur von Hand gemacht hat, beherrscht er entweder Steno, oder er hat ein enormes Gedächtnis, WOW!!!

Dieses Gutachten wurde sogar gegliedert. Ich muss also nicht zusammensuchen, was drinsteht, sondern gebe einfach die Inhaltsangabe an: 



I. Spezifische Befragung zum Zweck der Begutachtung
I.1. Familienanamnese
I.2. Soziobiographie
I.3. Somatische Anamnese
I.4. Psychiatrische Anamnese
I.5. Konsumverhalten hinsichtl legaler u illeg Suchtmittel
I.6. Beziehungs-, Sexualanamnese/Transsexualität

II. Aktueller psychopathologischer Befund

III. Zusammenfassung und Beurteilung
Diagnostische Einordnung

IV. Beantwortung der Fragestellung des Gutachtensauftrags



Während die Gutachterin männliche Pronomen verwendete, schreibt er rein weiblich. Ist eine reine Formsache, ich kann mit beiden Varianten leben. Wobei unnötig ist zu erwähnen, was mir persönlich angenehmer war ;-)

Das Gutachten ist teils sehr umgangssprachlich. Ich frage mich, ob er da meine Worte übernommen hat (was ich schräg finde, weil ein Gutachten ja außer in Zitaten nicht den Duktus des Klienten spiegelt sondern fachlich geschrieben ist), ob die Sekretärin das war (falls er ihr nur Stichpunkte nannte), oder ob er selbst das so diktiert hat. 

Außerdem sind recht viele Tippfehler (Buchstabendreher, fehlende Buchstaben) und einige grammatikalische Fehler (falscher Kasus bei Bezugswort oder Verwechseln von Akkusativ / Dativ). Und ein paar der Tippfehler sind sogar sinnentstellend (zB "Reise" statt "Reize", was in diesem Zusammenhang einen sehr schrägen Sinn ergab). Auch wurden hier und da Sätze mit Komma getrennt, die so eigentlich gar nicht zusammengehören (dadurch wird ein Zusammenhang oder eine Aufzählung impliziert, die aber m.E. nicht existiert). Und es kam zwei drei Mal vor, dass ich den Eindruck hatte, ein Satz wurde anders begonnen, als er beendet wurde (einmal wurde sogar ein zweiteiliger Satz scheinbar zu einem gefasst, was ebenfalls sinnentstellend war). 

Aber das sind Peanuts, es geht ja um den Inhalt (und ja, ich bin ein Grammar-Nazi, habe gelernt damit zu leben und es normalerweise nicht raushängen zu lasen. Aber hier finde es ich mal erwähnenswert, schließlich war das ein professionelles Gutachten eines Fachmannes). 

Dankbar bin ich, dass ich beim Thema Sexualität einige Fragen nicht konkret beantwortet sondern geschickt "umschifft" habe bzw sagte, dass ich das nicht explizit sagen werde. Denn da alles so exakt wiedergegeben war, hätten sonst womöglich Praktiken und Vorlieben für den Richter und die Krankenkasse lesbar sein können! Nein, das geht definitiv zu weit! Das, was ich sagte, ist deutlich und ausreichend ... 

Interessant finde ich, wie platt und klischeehaft das alles klingt. Wie ein 0815 Trans* - Lebenslauf. Von Kind an, alles wie aus dem Bilderbuch. Irgendwie konnte ich mich mit denen, wo alles so 0815 war von Beginn an selten identifizieren. Aber wenn ich das lese - alles, was er schrieb, stimmt und habe ich so gesagt. 

19 Seiten sind schon recht viel. Gut, davon geht einiges weg für Einstieg und Inhaltsangabe, also nur 17 Seiten. Und es wiederholt sich auch manches. So gibt es zum Beispiel Überschneidungen zwischen Psychiatrischer Anamnese und Soziobiographie oder anderen Punkten untereinander (also doppelt und dreifach gemoppelt. Bin dankbar, dass er wohl zu den eher günstigen Gutachtern zählt, ein anderer hätte für die zigfache Wiederholung Seiten geschunden und sehr viel mehr Geld verlangt. Aber abwarten, noch habe ich die Rechnung nicht). Und was schon zweimal erwähnt wurde, findet ein drittes Mal Platz in der Zusammenfassung. 

Doch, nachdem ich es jetzt ausführlich gelesen habe: abgesehen von meinem blutenden Grammtikherz bin ich sehr zufrieden. Passt, gibt exakt meine Biographie wieder, ist respektvoll (wenn auch sehr explizit und intim). Kann man dem Richter und der Kasse vorlegen, muss mich nicht dafür schämen sondern kann auch dahinter stehen und sagen "jau, das bin ich". 

2heartedman 30.06.2016, 21.10

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