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Gedanken zur Nachbarschaft

Wir sind seit Mittwoch 91 Leute, die sich in dem Portal registriert haben. Und jetzt habe ich zu meinem männlichen Profil auch ein Foto hochgeladen. Das ist quasi ein Massenouting ungewöhnlicher Art ...


Normalerweise lade ich keine Fotos von mir ins Netz. In diesem Fall ist das Portal mit Verifizierung gesichert, sodass nur Anwohner der Nachbarschaft beitreten können (natürlich gibt es auch hier Möglichkeiten, sich unberechtigt einzuschleichen, aber es ist dennoch überschaubar). Auch sind Google und Co angeblich ausgeschlossen. Hoffen wir, dass das stimmt. 

Ich finde es unglaublich toll, wie man jetzt Leute besser kennenlernt. Ich bin offen und gehe direkt und gerne auf Menschen zu. Aber Nachbarschaft, das ist ... puh, finde, das hat ganz eigene Regeln. Da gibt es Leute, mit denen kommt man automatisch ins Gespräch. Die Familie mit dem Hund, man sieht sich ständig in der Tiefgarage, am Briefkasten, beim Gassigehen, man wechselt ein paar Worte, und irgendwann nach zig Monaten wird es auch mal persönlicher (relativ, natürlich nie privat). 

Dann gibt es die Leute, die man zwar ständig sieht, aber irgendwie will es nicht so recht flutschen, da sagt man nett und freundlich hallo, nimmt das Paket an oder holt es ab, sagt auch mal "schönes Wetter heute", aber das war´s. 

Dann sind da Nachbarn, die sieht man sogut wie nie. Zum Beispiel, weil sie einen komplett anderen Lebensrhythmus haben. Da ist hier im Haus eine Frau, die habe ich selbst einmal gesehen in den fünf Jahren, die ich hier wohne, Schatz schon etwas öfter. Dem Aussehen nach scheint sie eine totale Business-Lady mit Karriere zu sein (falls ich ´ne Schublade für sie öffnen müsste). Keine Ahnung, wer sie ist, aber offen gesagt interessiert mich das auch nicht. 

Und dann gibt es die Leute, die man ständig sieht, die total nett aussehen, die man gerne ansprechen möchte. Tja, und dann - keine Ahnung. Vielleicht bilde ich mir das ein, aber Nachbarschaft ist irgendwie so eine unsichtbare Grenze, bei der es heißt "Smalltalk okay, aber lass mir bitte meine Privatspähre". Das wünsche ich mir von anderen (gerade, weil man so dicht beieinander hockt, da ist mir das sehr wichtig), und das respektiere ich, wenn der Nachbar auf "wie gehts" nichts weiter antwortet als "naja, heiß ist es, aber morgen soll es regnen, geht schon". 

Da ist eine junge Frau, die uns vom ersten Tag an auffiel, sieht total sympathisch aus. Wollte sie schon immer mal ansprechen. Aber Smalltalk ergab sich nie, sie wohnt im anderen Haus, und irgendwie sind sie oder wir immer beschäftigt, also bleibt es seit Jahren bei einem kumpelhaften Nicken. Hingehen und sagen "hey, ich bin Sascha, wer bist Du, siehst nett aus, wollen wir zusammen Kaffee trinken" kommt irgendwie blöd, ich hätte das Gefühl, gegen eine ungeschriebene Regel zu verstoßen. 

Dito bei den neuen Nachbarn, die unter uns wohnen. Ich weiß zwar, wie sie beim Sex klingen (und kann anhand mancher Rituale, die man als Nachbar so mitbekommt, schon vorab erkennen, wann es wieder dazu kommen wird), aber ich weiß nicht mal, wie sie mit Vorname heißen, und auch hier hatte ich das Gefühl, dass der Zugang erschwert ist im Gespräch. Das respektiere ich. 

Natürlich habe ich gehofft, dass sich ein paar Leute anmelden, zu denen ich schon länger Kontakt wollte. Die junge Frau ist angemeldet, jippieh, und tatsächlich dauerte es nur wenige Minuten, bis wir Kontakt hatten. Der sympathische Nachbar von unten ist noch nicht drin (oder mit Fakename), hoffe er meldet sich die Tage noch an :-) 

In der Wohnung, in der ich mit meinem Exmann nach dem Umzug hier in die Großstadt erstmals gelebt habe, war eine sehr enge Hausgemeinschaft. Man saß zusammen im Hinterhof beim Grillen, mit Fernseher zur WM, da hat der eine Nachbar mal mein Rad repariert, und mit der anderen hat man über den gleichen Beruf und Möglichkeiten der Bewerbung geplaudert, dort war man mal beim Tischtennis oder oder. Aber da hat auch die Vermieterin darauf geachtet bei der Wahl der Interessenten, dass sie eine ausgewogene Gemeinschaft erstellt und passende Leute ins Haus holt. 

Hier in der Siedlung wohnen hunderte Menschen Tür an Tür, hier ist viel Queerness anzutreffen, viele Businessleute, aber auch einige Nerds und Familien, und alle wirken, als wenn sie hier in der Gegend direkt am Naherholungsgebiet nach einem anstrengenden Arbeitstag im Büro einfach nur die Ruhe und Erholung genießen möchten, immer freundlich und diskret, nie aufdringlich. 

Wenn ich konkret etwas brauche, dann ist jemand da ("können Sie mir bitte mal xy" oder "ich habe gesehen, Sie haben diesunddas, wäre es möglich, dass usw"), ganz unverbindlich und freundlich. Aber nie allzu privat. Als ich schwere Sachen zu schleppen hatte, kamen ein paar Kiddies und haben mit ihren Inlinern ganz locker einfach mal mit angepackt und geholfen, ohne Aufforderung. Die Kids bleiben sogar stehen und grüßen freundlich, das freut mich immer, finde ich nett. Es gibt im Viertel sogar recht viele Kids, hier ist es echt belebt. Aber kein Geschrei und Geplärr, sondern viel Lachen, Rufen, Toben und Spielen, wie im Bilderbuch) 

Im ersten Moment bin ich geneigt zu sagen "schade, dass man das Internet braucht für sowas" (um in engeren Kontakt zu kommen). Andererseits: nein, irgendwie trotzdem nicht. Hätte ich gewollt, dass ich all meine Nachbarn kenne und Kontakt pflege, dann wäre ich in ein Dorf gezogen, wo jeder jeden kennt, wo jeder alles von jedem weiß und wo man keine Privatsphäre hat. Ich bin bewusst in die Stadt gezogen, weil ich meine Ruhe wollte. Ich gehe offen auf Menschen zu und habe mehr Kontakte, als ich überhaupt pflegen kann, sowohl überregional als auch vor Ort. Freue mich, hier im Viertel überall Freundlichkeit zu begegnen aber trotzdem eine gewisse Distanz zu haben. 

Was meine individuelle Thematik betrifft: dieses Portal ist quasi ein Massenouting. Der Begleiter beim Bouldern schien irritiert. Und dann die Nachbarin, von der ich eine Pflanze abholte (suchte einen bestimmten Ableger, den man nicht im Laden kaufen kann), die sagte nichts, aber ich vermute, sie dachte sich ihren Teil. 

Nachdem nun seit heute das Bild drin ist, bin ich gespannt, ob das etwas auslöst. Glaube aber nicht. Man ist hier sehr unaufgeregt, wahrt eine freundliche Distanz und bleibt höflich. Manche werden sich wundern, aber ansprechen wird es vermutlich niemand. 

Ich schließe nicht aus, dass es vereinzelt auch Leute geben wird, die ein Problem damit haben. Aber dann wohnen sie in der falschen Umgebung. Wenn man hier spazieren geht, sieht man alle paar Meter gleichgeschlechtliche Paare. Oder Punks. Oder Goths. Oder Nerds. Oder Otakus mit bunten Haaren. Irgendwie schräg, denn das klingt so alternativ, aber eigentlich ist es hier total spießig, so richtig mit "Musizieren nach 19 Uhr untersagt" und "Ballspielen auf dem Rasen verboten" (hält sich eh keiner dran, aber trotzdem ist alles gesittet und anständig. Der Trompeter am See um 20 Uhr klingt toll mit seiner Jazzimprovisation, die Kids haben noch nie etwas kaputt gemacht beim Kicken, und die Kreide wird vom Regen weggewaschen).

Doch, hier passen Schatz und ich sehr gut rein: wir haben weder Lust auf Subkultur noch auf Spießertum, wollen einfach nur unser Leben leben. So wie alle anderen hier auch :-)

2heartedman 23.07.2016, 09.41

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