two hearted man
Interne Seiten
RSS 2.0 RDF 1.0 Atom 0.3
2024
<<< April >>>
Mo Di Mi Do Fr Sa So
01020304050607
08091011121314
15161718192021
22232425262728
2930     
Statistik
Einträge ges.: 1238
ø pro Tag: 0,4
Kommentare: 263
ø pro Eintrag: 0,2
Online seit dem: 05.12.2014
in Tagen: 3422

Ausgewählter Beitrag

Gastbeitrag - Reaktionen in der Öffentlichkeit

Ich habe in meinem letzten Beitrag über >Reaktionen in der Öffentlichkeit< geschrieben. Das ist ein spannendes Thema, das auch bei >Erzählmirnix< in ihrem Blog >Fettlogik< diskutiert wurde. Björn, ein befreundeter Transmann, ist auf seinem Weg bereits einige Jahre weiter als ich. Er lebt endlich als Mann und stellt für sich klare Unterschiede fest, wie Männer und Frauen in der Gesellschaft behandelt werden. Seine Gedanken dazu möchte er in einem Gastbeitrag teilen. Vielen Dank!


Der Beitrag von Sascha über Reaktionen in der Öffentlichkeit hat mich inspiriert, mal aufzuschreiben, wie unterschiedlich ich vor und nach der Transition behandelt wurde und werde. Der Unterschied ist wirklich extrem, obwohl ich derselbe Mensch geblieben bin. Dadurch wurde mir klar, wie sehr die meisten Menschen sich an Äußerlichkeiten orientieren.

Als Frau sah ich ziemlich gut aus und konnte mich vor Anmachen kaum retten. Etwa einmal pro Woche kam es vor, dass ein Mann mich angesprochen, mir hinterhergepfiffen oder mein Aussehen kommentiert hat. Ich konnte nirgends allein hingehen, ohne von Männern angesprochen zu werden. Für mich als introvertierten Menschen war das eine Qual. Wenn ich unterwegs bin, will ich einfach in Ruhe gelassen werden. Unangenehm fand ich auch, dass es kaum möglich war, die Betreffenden auf höfliche Weise loszuwerden. Wenn ich gesagt habe, dass ich müde bin und mich nicht unterhalten will oder Ähnliches, kam oft eine beleidigte Reaktion, oder es gab endlose Diskussionen, warum und weshalb ich keinen Kontakt will und dass ich es mir doch noch mal überlegen sollte. Entsprechend unwohl habe ich mich in der Öffentlichkeit gefühlt, wie auf dem Präsentierteller.

Es wurde besser, als ich mir die Haare abgeschnitten und die Brust abgebunden habe und nur noch weite Pullover trug. Ich wurde weniger beachtet. Aber gerade in dieser Phase haben mir sehr oft fremde Männer die Tür aufgehalten. Als ob sie mir dadurch zu verstehen geben wollten, dass ich trotzdem eine Frau bin.

Seit ich durchgängig als Mann wahrgenommen werde, hat sich alles komplett geändert. Keiner interessiert sich mehr für mich. Ich kann durch die Straßen gehen, ohne beachtet zu werden. Das finde ich sehr entspannend. Wenn mich jemand anspricht, dann fast nur noch, um mir Werbung in die Hand zu drücken.

Ich muss nun auch mein Verhalten ändern. Im Gegensatz zu früher, als es meist darum ging, andere Leute abzuwehren, muss ich nun selbst auf andere zugehen, um überhaupt beachtet zu werden.

Positiv ist mir aufgefallen, dass ich stärker respektiert werde. Was ich sage, wird weniger infrage gestellt. Früher wurden meine Ansichten oft nicht ernst genommen, vor allem wenn ich eine Meinung vertreten habe, die nicht den Erwartungen entsprach. Viele Leute haben versucht, mich von ihren Ansichten zu überzeugen. Natürlich ist es normal, dass man miteinander diskutiert, aber nach der Transition wurden meine Ansichten nie so fundamental in Zweifel gezogen wie vor der Transition.

Unerwünschte sexuelle Anmache brauche ich nun nicht mehr fürchten. Im realen Leben interessiert sich keine(r) für mich. Frauen erlebe ich nicht als aufdringlich, sie warten eher ab, dass der Mann den ersten Schritt macht. Schwule Männer sind außerhalb der Szene eher vorsichtig, sie können ja nicht wissen, ob ihr Gegenüber auch schwul ist oder vielleicht homophob reagiert. Online werde ich manchmal von schwulen Männern angemacht, aber wenn ich kein Interesse habe, kann ich ganz entspannt Nein sagen. Das wurde bisher immer respektiert. Ich habe es nach der Transition kein einziges Mal erlebt, dass ein Mann, von dem ich nichts wollte, angefangen hat zu diskutieren.

Zu Anfang war ich über diese Veränderungen wirklich geschockt. Ich fand es unglaublich, dass Äußerlichkeiten bzw. das wahrgenommene Geschlecht so einen großen Unterschied machen können. Früher wollte mir auch niemand glauben, als ich mich über die Belästigungen beschwert habe. Freundinnen fanden eher, dass ich es als Kompliment sehen sollte. Nur leider waren es für mich Komplimente aus dem falschen Grund. Welcher Mann bekommt schon gerne gesagt, dass er eine hübsche Frau ist?

Sicherlich kommt zu dem veränderten Äußeren hinzu, dass ich inzwischen selbstbewusster auftrete und mit dummen Sprüchen gelassener umgehen kann. Aber das ist nicht einfach so passiert, sondern das kann ich erst, seit ich nicht mehr mit unerwünschter sexueller Anmache rechnen muss. Dadurch fühle ich mich in der Öffentlichkeit wohler und sicherer. Es bedingt sich also gegenseitig, wie ich wahrgenommen werde und wie ich auftrete.

Für mich als introvertierten Menschen war die Transition eine super Entscheidung. Nicht nur weil ich endlich das richtige Geschlecht habe, sondern auch, weil mir keine Kontakte mehr aufgezwungen werden, die ich nicht will.

Wider Erwarten habe ich auf Testo nicht plötzlich den Drang bekommen, fremde Frauen (bzw. Menschen) sexuell zu belästigen. Mein Sextrieb ist zwar stärker geworden, aber das ist eine Sache, die nur mit mir zu tun hat. Sexuelles Interesse an anderen Menschen zu entwickeln, ist ein zweiter Schritt, der bei mir weniger oft passiert. Sicher bin ich damit typisch introvertiert, bei Extrovertierten könnte das anders sein.

Jedenfalls kann ich die von manchen heterosexuellen Männern genutzte Ausrede nicht nachvollziehen, dass sie eben so sind und aufgrund ihres Sextriebes nicht anders können, als Frauen zu belästigen. Schwule Männer können sich bei sexuellem Interesse an einem Fremden schließlich auch zurückhalten, denn sie müssen mit homophoben Reaktionen rechnen.

Aufgrund meiner früheren Erlebnisse bin ich Feminist geblieben und stimme voll mit den Feministinnen überein, die die #Aufschrei-Debatte ins Leben gerufen haben. Ich finde sexuelle Belästigung nicht in Ordnung, egal bei welchem Geschlecht. Aber faktisch passiert es eben vor allem Frauen, dass sie sexuell belästigt werden. Ich bin nicht der Meinung, dass Frauen das mit sich selbst ausmachen und damit umgehen können müssen. Es ist ein gesellschaftliches Problem. Man sollte nicht erwarten, dass bestimmte Menschen (Frauen) selbstverständlich gelassen und humorvoll mit dummen Sprüchen und sexueller Anmache umgehen können, ungeachtet ihres persönlichen Naturells, während andere Menschen (Männer) solche Sprüche bringen dürfen, "weil sie nicht anders können". Das würde bedeuten, mit zweierlei Maß zu messen, und das ist ungerecht.

2heartedman 11.10.2015, 18.02

Kommentare hinzufügen

Die Kommentare werden redaktionell verwaltet und erscheinen erst nach Freischalten durch den Bloginhaber.



Kommentare zu diesem Beitrag

2. von Björn

Danke für deinen Kommentar, IULIUS.

Natürlich habe ich nichts dagegen, dass Männer Frauen ansprechen. Ich verstehe auch deine Schwierigkeiten mit dem Ansprechen, natürlich ist das mit Ängsten verbunden. Das kenne ich auch sehr gut. Ich meine allerdings, dass viele Männer mehr auf die Reaktionen ihres Gegenübers achten sollten. Wenn eine Frau nicht darauf eingeht, offensichtlich kein Interesse hat oder genervt wirkt, sollten sie es bleiben lassen.

Und ich denke, dass Frauen eben auch introvertiert sein dürfen. Frauen sind unterschiedlich und nicht jeder fällt es leicht, aufdringliche Anmache mit einem lockeren Spruch zu kontern.

Sicher kommen aufdringliche Männer manchmal zum Ziel. Oft aber auch nicht, oft lösen sie bei ihrem Gegenüber nur Ärger aus. Ich verstehe nicht, warum einige bei Misserfolg meinen, noch aufdringlicher werden zu müssen. Sie könnten auch einfach zu akzeptieren, dass eine kein Interesse hat.

Bei allem sind das natürlich meine subjektiven Erlebnisse, die ich hier wiedergebe. Für mich ist das Problem nun auch gelöst. Wäre ich eine richtige Frau und kein Transmann, hätte ich sicher im Laufe der Zeit einen anderen Weg gefunden, damit umzugehen.

vom 12.10.2015, 10.42
1. von IULIUS

Ich denke Du hast einen kleinen Denkfehler.
Zu einen, da Frauen nach Deiner Erzählung passiv sind müssen Männer zwangsläufig aktiv werden und Frauen ansprechen.
Zum anderen bist Du, wie Du selber sagst introvertiert. Aber nicht jede Frau ist introvertiert. Die meisten Frauen wollen umworben werden.

Insofern kann man die Problematik den Männern nicht allein anlasten.

Was hier das primäre Problem ist, ist eher, daß Du mit Deinen Empfindungen stark von der Norm abweichst. Du reagierst einfach nur stärker auf Umwelteinflüsse. Für Dich sicher eine Tortur. Aber Deine Mitmenschen können das - ohne daß sie Dich kennen - nicht wissen.

Solange Frauen auf dem Gebiet des Umwerbens nicht offensiver werden, kannst Du den Männern das nicht verbieten wollen.
Über die Art und Weise, die manchmal doch mehr als unterirdisch ist kann man sicher diskutieren. Man sollte aber bedenken, daß die abstoßende Art und Weise wohl auch oft genug zum Ziel führen wird. Das läßt vermuten, daß manche Frauen genau das so wollen...
Das Ansprechen ist oft auch mit Ängsten verbunden, was ein weiteres Problemfeld ist und manchmal eigenwillige Stilblüten treibt.

Ich bin selber stark introvertiert und kann Dich daher sehr gut verstehen.

Insgesamt finde ich Deinen Artikel äußerst interessant.

vom 12.10.2015, 00.56