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Ausgewählter Beitrag

Erste Schritte - Inneres Outing Juli 2014

In "Erste Schritte" schreibe ich meine ersten Erfahrungen und Eindrücke. Seit etwa Juli weiß ich, dass ich diesen Weg gehen werde. Bis heute ist einiges in und an mir geschehen, wovon ich nachträglich hier schreiben möchte. Und wenn ich dann beim heutigen Tag angelangt bin - geht es weiter mit Alltag :-)








Frage: "Seit wann bist Du trans?" oder "Seit wann weißt Du es?"

Ersteres: ich war schon immer ein Junge. Habe mich noch nie als Mädchen oder Frau gefühlt, schon im Kindergarten war mir das klar. 

Zweiteres: kann ich nicht beantworten. Gewusst habe ich es immer. Aber das Problem ist, Dinge nicht nur zu fühlen, sondern sie auch benennen zu können. Sprache und Selbstverständnis liegen dicht beieinander. Wofür es keine Worte gibt - das existiert scheinbar nicht. Es gab keinen Zeitpunkt, an dem ich für mich wusste "ich BIN ein Mann". Es war ein Prozess ... mit vielen Höhen und Tiefen ...

Ich wusste, dass ich anders bin. Dass ich nicht zu den Mädchen passe. Dass ich Jungsspiele lieber mag. Wurde auch von Freunden und Familie geneckt, indem man mich mit der männlichen Variante meines Vornamens rief. Aber ich dachte eben, dass ich falsch ticke. Mir etwas einbilde. Mir wurde oft vorgeworfen, ich würde einfach Besonderes sein wollen und mich in den Vordergrund drängen. 

"Sei wie das Veilchen im Moose, bescheiden, sittsam und rein. Und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein".

"Mädchen die Pfeifen und Hühnern die krähn, muss man beizeiten den Hals umdrehn".

"Deine Klappe muss man mal extra totschlagen".

Alles zurückhalten, das anders ist, das unangenehm ist, das die Menschen verwirrt. Ein braves Mädchen sollte ich sein. Dazu kam, dass in meinem nahen und weiteren Familienkreis Menschen sind, die unter Krankheiten leiden (Depression ua). Immer, wenn ich andeutete, dass ich etwas fühle, das nicht der Norm entspricht, ging das Gejammer los "oh Gott, werde bloß nicht wie XY, Du bist doch nicht krank, mach mir keine Angst, womit habe ich das verdient, mit Dir ist doch alles gut, Du bist mein kleines Mädchen" ... 

In manchen Lebensphasen konnte ich mein Anderssein gut verstecken, in anderen Phasen brach es stärker hervor. Aber nie hatte ich ein Wort dafür. 

Aus den Medien kannte ich lediglich Transen. Fummeltrinen. Männer, die sich an Fasching verkleiden wie Frauen und die in den Medien lächerlich gemacht wurden. Männer, die in Varietes überzeichnete Frauenrollen karikierten. Das hatte mit mir ja mal gar nichts zu tun. 

Filme wie "Hasenherz" oder Bücher wie "Jan mein Freund" begeisterten mich, weil ein Mädchen sich für einen Jungen ausgab. Aber das war ein Spiel, eine Maskerade, und das bei mir war echt, das war auch etwas anderes. Das war kein Spiel, das war nicht lustig. Das war traurig und schmerzhaft.

Ich wusste nicht, dass es andere wie mich gibt. Und als ich später als Erwachsener erkannte, dass Transidentität mehr ist, fühlte ich mich dennoch nicht zugehörig. Denn schließlich sehe ich auf der Straße Männern hinterher. Liebte meinen Mann nicht nur seelisch, sondern auch körperlich. Ein Mann im Frauenkörper, schräg genug, aber dann noch schwul? Ne, kann nicht sein. 

Außerdem - wagte ich etwa, Gott anzuzweifeln? Homosexuell zu sein? Noch dazu als Frau?!?!? "Wenn wir uns von ihm abwenden, wird es finster um uns her. Unser Gang ist nicht mehr sicher und das Herz von Freuden leer", heißt es im Gesangbuch. Meine Sorgen und Ängste nur ein Zeichen meiner Abkehr von Gott? Mein eigenes Versagen?

Fragte etwa Mitte 20 meine Hausärztin, ob sie nicht einen Bluttest machen kann. Ob meine Hormone verrückt spielen. Ob ich ein falsches Gen habe. Irgendwas. Aber sie wehrte ab, ich sei eine junge, gesunde Frau, alles in Ordnung, das sieht sie auch ohne Test. Thema vorbei. 

Später gegen Ende 20 eine Therapie, in der ich dieses Thema erneut ansprach. Daraufhin bekam ich die Aufgabe, auf großen Papieren auf dem Fußboden alles zu notieren, was ich als Mann alles tun möchte. Ich schrieb und schrieb und schrieb. Und die Therapeutin dröselte fein säuberlich auf, dass auch eine Frau all das tun kann, was ich hier geschrieben habe. Dass ich also keinen Grund habe, mich schlecht oder minderwertig zu fühlen, nur weil ich eine Frau sei. Sie war zufrieden mit dem Ergebnis. Und ich fühlte mich noch minderwertiger, weil es mir klarmachte, dass ich sowas von verkorkst bin, dass nicht mal Therapeuten mir helfen können. 

Irgendwann dann traf ich auf die queere Szene: Schwule, Lesben, Trans, auch BDSM, Fetisch, Furry und verschiedene Beziehungskonzepte. Nicht alles muss ich für mich annehmen, aber es tut so unglaublich gut zu wissen, wie bunt unsere Welt doch ist! Zu wissen: "andere sind auch anders". Und mein Freundeskreis wurde immer bunter, Regenbogen in allen Farben. Meine Welt bekam auf einmal Namen und Begriffe. Da wurden Rollenmuster komplett aufgehoben. BUNT ist das Leben, und granatenstark, Hoschi ;-)

Nachdem mein Freundeskreis mich immer mehr akzeptierte, wurde es mir außerhalb dieses Kreises immer unangenehmer, wenn ich ganz klar als Frau tituliert wurde. Bei meinem weiblichen Namen gerufen wurde. Bei Sätzen wie "Wir Frauen müssen zusammenhalten" oder "die Männer sind alle Schweine" oder "Du als Frau" dreht sich mir der Magen um. 

Irgendwann stieß ich dann auf Girlfags. Schwule Frauen! Frauen, die schwul sind, also auf Männer stehen, aber nicht auf heterosexuelle Weise. JAJAJAJAJAJA, das war ich! Denn normaler heterosexueller Sex und normale heterosexuelle Gelüste lagen mir fern, aber homosexuelle Praktiken, Bücher, Filme, Spielarten, mein ganzes Kopfkino ... 

trotzdem fehlte mir etwas. Denn Girlfags bezeichnen sich zwar als schwul, sind aber eindeutig weiblich und sehen auch keinen Grund, etwas daran zu ändern. Sie sind glücklich über ihre Brüste und das weibliche Geschlecht. Und das war ich nicht! 

Ich liebte das Internet! Die Anonymität! Ich hatte so viele Namen, Mailadressen. Fast alle androgyn. Es tat soooo gut, von anderen als Mann wahrgenommen zu werden! Wenn ich auf Forentreffen ging, sah ich jedes Mal, wie die Kinnlade runterklappte: "ich dachte, Du bist ´n Kerl" ... niemals hatte ich das behauptet, niemals hatte ich mich verstellt. Doch wenn ich Pronomen umschiffe und unter einem neutralen Namen schreibe, ergänzt das menschliche Gehirn automatisch die Lücken. Menschen wollen Schubladen, und sie stecken meine Texte in die männliche Schublade, ganz von selbst. Wer mein Inneres sieht, sieht einen Mann ... 

Die Frage war, wie ich fortfahren sollte: etwas zu ändern bedeutet einen gravierenden Einschnitt. Und vielleicht könnte ich ja einfach so weitermachen. Denn meine Freunde nehmen mich, wie ich bin. Und mein Mann weiß, dass ich eine Männerseele in mir trage, der kommt damit bestens klar. Ich wollte mich verstecken, um den anstehenden Problemen aus dem Weg zu gehen. Doch die Fassade zu erhalten, wurde immer schwerer ... weil der Mann in mir immer stärker wurde.

Inzwischen führte ich ein Doppelleben. Musste genau überlegen, wem ich was erzählen kann. Darauf achten, dass Person X (die meine queere Seite kennt) nicht womöglich mit Person Y (die mich als Spießer kennt) über mich redet. Konnte die Frage "was hast Du am Wochenende gemacht" oder "wie war Dein Urlaub" einfach nicht mehr beantworten. Ich fing an, die Fassade zu hassen ... das Korsett der Gesellschaft raubte mir die Luft zum Atmen ... 

DEN Auslöser gibt es nicht. Es waren viele Kleinigkeiten: Gespräche, ein Blog, Medien, steigender Leidensdruck. Eines Tages im Juli diesen Jahres stand ich auf und sagte "so, jetzt mach ich es". Besprach es mit meinem Mann. Besprach es mit einem Freund. Ließ es einige Wochen in mir gären. Und dann begann ich mit dem Outing bei Freunden ... 

2heartedman 06.12.2014, 12.00

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Kommentare zu diesem Beitrag

3. von Alex

Hallo,

danke für die Erklärung, es ist absolut klar, dass das sehr vertrauliche Dinge sind. Allgemein ist der Blog ja schon sehr nahe am Geschehen. Ja, na klar, ich würde einfach fragen, wenn mich was ehr interessiert. Danke.

Ja, Internet hilft sehr. Ich wüsste auch nicht, ob ich heute da wäre wo ich jetzt bin, ohne Internet.

Danke für deine Antwort.

vom 11.07.2015, 23.04
Antwort von 2heartedman:

Und Dir danke fürs Lesen und Kommentieren :-)

(stille Leser sind auch willkommen, grade bei diesem Thema, wo viele nicht öffentlich schreiben wollen. Umso mehr freu ich mich über die, die auch reagieren und kommentieren *smile*)

2. von Alex

Ich lese mich fleißig durch und habe immer noch ganz ungemein viele -yep, so geht es mir auch- Momente. Deinen Lebensabschnitt in Blogform zu lesen, ist auch ´ne Art "Therapie"/Lernen/ Erkennen für mich. Ich muss mich nur noch im realen Leben unter die queeren Leute mischen, nicht das ich das nicht schon teilweise hätte, aber jetzt ist alles anders. ;) (Darf man deine passwortgeschützen Bereiche irgendwann lesen?)

vom 10.07.2015, 13.27
Antwort von 2heartedman:

Freut mich, dass es Dir hier gefällt und Du Dich auch in einigen Punkten wiederfindest ... 

real ist es oft nicht leicht, inzwischen kenne ich viele, aber gerade am Anfang war es schwer, queere Kontakte zu knüpfen. Es ist schon toll, dass es heute das Internet gibt, ich bin dafür unglaublich dankbar!

Passwort vergebe ich nur an sehr wenige Leute, die ich privat kenne, aktuell wortwörtlich an einer Hand abzuzählen. Es geht zB um Familieninterna (wer hat sich wann mit wem warum gezofft, wer leidet an welchem Zipperchen) oder Beziehung (was bereitet mir Probleme, wie läuft es beim Sex) oder meine Nacht-Träume (die teils sehr symbolisch sind und somit sehr viel über mein Innerstes aussagen). Oder explizite Erfahrungen mit einzelnen Hilfsmitteln, die doch sehr intim sind. Denke, Du verstehst also, warum ich das lieber privat halte ;-)

Aber wenn ein Beitrag mit Passwort ist und Du anhand der Überschrift oder des Themas glaubst, dass es für Dich hilfreich oder interessant wäre, dann kannst Du mich gerne über das Kontaktformular anschreiben, und ich kann dann individuell entscheiden, ob es privat ist oder ich Dir den Text zuschicken kann. 

Zum Beispiel gerade körperliche Veränderungen, der Umgang mit Hilfsmitteln, das möchte ich nicht öffentlich breittreten (ich renn ja nicht auf die Straße und erzähl den Leuten von meinen Genitalien), habe aber kein Problem es im geschützten Kreis zu teilen, gerade wenn andere Betroffene Erfahrungen austauschen möchten. 

Also, einfach gezielt nachfragen ;-)

1. von Alex

Dein Weg ist meinem sehr ähnlich, ich werde deinen Blog weiterverfolgen.Schön, dass du das teilst.

vom 06.07.2015, 14.09
Antwort von 2heartedman:

Das freut mich. Und ich freue mich auch immer sehr über Kommentare, eigene Gedanken und gerne auch Gegenstimmen oder Rückfragen :-)

Fühl Dich wohl hier im Blog *Kaffee und ´nen Muffin reicht*