two hearted man
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Ein paar Erinnerungen aus der Schule

Das Erlebnis >mit der Kette< war einer der einschneidensten Momente. Klingt vielleicht im Nachhinein erzählt banal, war für mich damals aber ... hm, "traumatisierend" ist das falsche Wort, aber auf jeden Fall so verletzend, dass es mich bis vor einigen Jahren in meinen Albträumen verfolgte und ich bei der Erinnerung daran noch immer errötete. Aber es gab auch sonst viele Szenen, in denen die SchülerInnen mir zu verstehen gaben, dass ich anders war. Glücklicherweise wurden die Angriffe niemals körperlich. Ich habe wegen meiner Transidentität bisher noch niemals körperliche Gewalt erfahren.


Naja, nein, doch, einmal. Mehr oder weniger. Einmal in der Grundschule, aber das war eher lächerlich. Mein bester Freund und ich waren schon ein schräges Paar, er war sehr weichlich, mädchenhaft (ist heute schwul, Klischee mal wieder), ich dagegen hart, burschikos, und wir liefen quasi immer in verteilten Rollen über den Schulhof, bei den Spielen"Jungs gegen Mädchen" platzierte ich mich oft bei den Jungs. Kinder können das so noch nicht benennen, aber wir beide fielen auf. Einmal liefen wir händchenhaltend über den Schulhof, wurden deswegen ausgelacht (er als Mädchen, ich als Junge) und heftig geschubst, so dass ich stürzte. Ich stieß mir den Kopf auf dem Asphalt, mir wurde schwindlig und übel, der Lehrer schickte mich mit einer leichten Gehirnerschütterung nach Hause. Aber ich weiß nicht, ob man das so recht in diese Kategorie zählen kann ... (muss die andere Person wissen, was Transidentität ist bzw dass das Opfer transident ist, um die Gewalt als Gewalt hiergegen zu benennen?)

Abgesehen davon aber wurde ich niemals körperlich angegangen. Dafür sehr viel mit Worten und Ausgrenzung. 

Etwa als wir mit der Schule in eine Kaserne fuhren und dort übernachteten. Wir führten ein Planspiel durch, welches uns spielerisch in Militär, Wirtschaft, Wasweißichnicht einweisen sollte. Ich hatte keine Lust, und als die "Journalistin" des Spiels ihre Rolle nicht mehr erfüllen wollte, habe ich mich prompt dafür gemeldet, auf diese Weise konnte ich tun, was ich schon immer gerne tat: Bericht erstatten, informieren, den Überblick behalten und selbst neutral bleiben. Born Blogger ;-)

Aber abgesehen vom Planspiel waren diese zwei Tage schrecklich. Bei den Mädels auf dem Zimmer wurde nur gekichert, sie schlichen sich nachts aus dem Haus und trafen sich mit den jungen Soldaten hinter der Kaserne, prahlten später davon. Es wurde nur über Jungs geredet, über Shoppen, über Schminke, über die neueste Boygroup, über die süßen Lehrer, und ich fühlte mich wie ein Alien. War ich die einzige, die gerne beim Exerzieren zugesehen hätte, die vielleicht selbst mal im Schlamm gerobbt wäre, die unbedingt mal auf dem Parcour trainiert hätte, die selbst gerne die Uniformen angelegt und Schießübungen gemacht hätte? 

Im Skilager wurde schon immer getrunken, geflirtet, waren die Mädels bei den Jungs auf dem Zimmer und umgekehrt. Und natürlich gab es abends immer Spiele in der großen Gruppe mit dem Lehrer. Bei manchen der Spiele musste man sich berühren, und ich erinnere mich noch, wie einer der Schüler sich weigerte, weil er mich für einen kurzen Moment hätte berühren müssen. Tat, als wäre ich verseucht und wandte sich angeekelt ab, "iiiih, die (Nachname), das mach ich nicht". Später meinte er zu mir, das würde er nicht einmal machen, wenn ich das letzte Mädchen auf der Welt wäre. Der Lehrer hatte mich in der Situation des Spiels nicht verteidigt, den Schüler nicht zum Teilnehmen oder zu einer Entschuldigung gezwungen und somit dessen Affront gegen mich einfach stehenlassen ...

Warum ich nicht in den Tanzkurs wollte, dürfte nach diesem Erlebnis klar sein. Denn solche Szenen gab es in der Schule häufiger. Dass ein Junge mich zufällig berührte, etwa beim Rempeln in der Großen Pause, und sich dann angewidert die Hand irgendwo abwischte. Dass sie mir böse Sprüche ins Gesicht warfen, wie hässlich ich sei. Dass sie mir abwertende Spitznamen gaben, um meine Unweiblichkeit zu betonen. Die Schmach, im Tanzkurs stets ohne Partner dazustehen wollte ich mir ersparen. 

Ebenfalls im Skilager fanden die Mädchen es einmal richtig lustig, mich in einen Rock zu stecken. Sie meinten, dass ich immer so alberne Klamotten trüge, mich nie richtig als Mädchen zurechtmache. Und dass sie mich einmal richtig schick machen wollten. Klar hätte ich mich wehren können, aber wehre man sich mal gegen eine Clique von 10 oder mehr Mädels! Also habe ich notgedrungen mitgespielt. Sie zogen mir Feinstrumpfhosen an, Schuhe mit Absatz, dazu einen karierten knielangen roten Rock, eine weiße Bluse mit so einem Bauschkragen, und dann sollte ich darin laufen, sie lachten, weil ich nicht so recht wusste, wie ich mich darin bewegen soll und statt schick zu stolzieren einfach nur plump watschelte. 

Als die Klassenfotos verteilt wurden, zeigte eine Schülerin auf mich und meinte "meine Mama hat gestern gefragt, wer dieser Junge da auf dem Foto ist". Alle lachten. Einerseits war ich stolz, ich wurde als Junge angesehen! Aber dass ich ausgelacht wurde, dass ich versagt hatte in meiner Fassade, dass ich vor allen auf diese Weise bloßgestellt wurde, das war schon sehr schmerzhaft. 

Im Sport übten die Mädchen vor allem Gymnastik. Schwebebalken, Bänder, Dehnen und solche Dinge. Die wirklich coolen Sportarten gab es bei den Jungs. Aber wir hatten ja getrennt Sport. Als unsere Lehrerin krank war, mussten wir ausnahmsweise einmal zusammen mit den Jungs trainieren. Der Lehrer ließ uns die Seile nach oben klettern, natürlich waren die Jungs schneller, nur ich konnte mithalten und war sogar einer der ersten ganz oben an der Decke der Turnhalle! Und dann Bockspringen, mit Anlauf über das Sprungbrett. Böcke in drei verschiedenen Größen, die Mädels alle ganz links beim niedrigsten, die meisten Jungs in der Mitte, und drei, vier Jungs rechts beim größten Bock. Mann, was hatte ich Bammel, aber das war mir egal, ich stellte mich ganz rechts hin. Einer der Jungs, mit denen ich mich gut verstand, gab mir ein paar Tips, wie ich richtig auf dem Sprungbrett lande, um optimal nach oben zu schnellen, und es funktionierte! Es gelang mir, als einer von drei Schülern den größten Bock zu überwinden und noch elegant zu landen! Danach bin ich erstmal nur noch geschwebt ... 

Natürlich gab es da noch die Umkleidekabine. Wenn die Mädchen sich gegenseitig ihre Spitzen-BHs zeigten, sich über die Körbchengröße austauschten. Ich hatte nur einfache Bustiers, so ganz ohne Spitze. Es gab damals von meiner Lieblingsfirma sogar ein Modell, das an männliche Unterwäsche angelehnt war (ein Fake-Eingriff für die Hose, und das Oberteil ähnlich einem Feinripp, wenn auch etwas eleganter). Nicht besonders stylisch, aber verdammt bequem und durch die weiblichen Rundungen nicht unsexy, ich liebte dieses Set. Unnötig zu erwähnen, dass es in der Umkleide mit den Spitzen-Rüschen-Rosa-Plüschis nicht mithalten konnte und ich mir auch dort einiges anhören durfte. 

Auf dem Schulfest durften wir einmal Kaffee und Kuchen anbieten. Jeder Schüler sollte Kuchen mitbringen. In den meisten Fällen buken die Eltern die Kuchen, die meine Mitschüler brachten. Ich werkelte selbst, stand lange in der Küche, gab mir sehr viel Mühe, war stolz auf das Ergebnis. Transportierte die fette Tortenbox durch den überfüllten Bus, trug sie den Weg vom Bus zur Schule, da steckte viel Liebe und Arbeit drin in allem. 

Obwohl meine Torte sehr gut aussah und auch gelungen war, wurde ich dafür ausgelacht. Philadelphia-Torten (also ohne Backen, mit Frischkäse, Obst und hübscher Deko) waren damals noch recht unbekannt, der Trend war noch ganz am Anfang. Ich wurde ausgelacht, was das denn für eine bescheuerte Torte sei, da sei ja gar kein richtiger Teig, und warum die so eklig rosa sei (weil pürierte Erdbeeren im Frischkäse lecker sind?). Sie haben die Torte so lange bearbeitet und verändert, bis sie optisch nicht mehr ansprechend war und sogar auseinanderfiel, es konnte kein einziges Stück verkauft werden, sie warfen die komplette Torte weg. 

Das sind die markantesten Momente und Beispiele, die mir einfallen. Es gab solche Szenen natürlich häufiger in der Schule. Gerade, weil an meiner Schule eher Kinder aus höherem Hause waren, die umso mehr Wert auf teure Klamotten und das Äußere legten. Da wurde nicht geprügelt, aber sehr viel gelästert, getratscht, angeschwärzt und ausgelacht. Ich hatte schon so etwas wie Freunde, ganz alleine war ich nie. Aber je älter ich wurde, so ab der achten, neunten Klasse, wollte ich sowieso nicht mehr dazugehören. Setzte mich in den Pausen alleine mit einem Buch in die Ecke, stand mit einer einzelnen Freundin (ebenfalls Außenseiter) irgendwo ganz hinten oder verzog mich irgendwo in einer Kabine auf der Toilette. Blieb manchmal auch alleine im Klassenzimmer. Ich hatte keine Lust mehr, und je mehr ich mich aus der Gruppe herausnahm, desto mehr ließ man mich dann auch in Ruhe, aber ganz aufgehört hat das Lästern und Bloßstellen nie. Aber immerhin lernte ich es zu ignorieren und nicht mehr an mich heranzulassen ... 

Nur einmal kam ich noch in eine bitterböse Situation. Die allerdings nicht von den Schülern ausging, sondern von den Lehrern. Ich wechselte nach der zehnten Klasse an eine neue Schule. Die Mitschüler der neuen Schule konnte ich nicht ausstehen, denn die waren weit tussiger und bösartiger als die Mädchen der alten Schule. Dass ich also nicht auf die Abschlussfahrt wollte, dürfte selbsterklärend sein. Aber die Gründe, warum ich nicht mitfahren wollten, konnte ich so natürlich niemandem sagen. 

Die Lehrer dachten, es läge am Geld (denn die Fahrt ging ins Ausland und war nicht gerade billig). Also wurde über irgendeinen Topf der Schule dafür gesorgt, dass auch ich teilnehmen konnte und man mir die Fahrt bezahlte. Abgesehen davon, dass ich das ultrapeinlich fand und mich in Grund und Boden schämte für meine familiären Verhältnisse, wollte ich trotzdem nicht mitfahren. Die Lehrer riefen mich zu sich ins Lehrerzimmer. Da saßen sie dann im Stuhlkreis: Der Rektor, sein Stellvertreter, der Vertrauenslehrer, der Klassenlehrer sowie die beiden Lehrer, welche die Klasse auf der Fahrt begleiten sollten. Und ich saß inmitten des Kreises (sic!). Sie redeten wortwörtlich von allen Seiten auf mich ein, dass ich mitfahren müsse. Extra für mich hätte man diesen Topf organisiert und ins Leben gerufen. Und wenn ich jetzt nicht mitfahren würde, dann wäre für die Zukunft diese Möglichkeit gestrichen, ich sei schuld wenn nach mir keine ärmeren Schüler mehr auf Klassenfahrt dürften. Und es sei doch lächerlich, dass ich nicht einmal sagen könne, warum ich nicht mitfahren will. Mein Verhalten sei rücksichtslos und undankbar!

Ich saß da, umringt von den Lehrern, knallrot, brachte kein Wort heraus, Tränen standen mir in den Augen, und als ich endlich gehen durfte, brachen sie aus mir heraus. Später kam eine junge Referendarin, die dabei gewesen war und später die Klasse auf der Fahrt begleiten sollte, zu mir. Sie entschuldigte sich für die Szene. Sagte, dass sie es unmöglich fand, wie die Lehrer auf mich eingeredet hätten, dass sie sich dafür schäme. Und dass es absolut in Ordnung sei, wenn ich nicht mitfahren möchte, das sei ganz alleine meine Entscheidung. 

Naja, diese Szene bzw generell die oben genannten kann man nicht konkret an Transidentität festmachen, so etwas passiert auch anderen Schülern. Der Kontext besteht allerdings darin, denke ich, dass ich durch mein Anderssein auffiel. Niemand konnte es benennen. Ich gehörte nicht dazu, und man grenzte mich aus. Man erkannte, dass ich kein typisches Mädchen war, und Versuche mich zu einem zu machen, scheiterten. Ich wurde zur Lachnummer, zog mich aus diesem Grund immer mehr zurück, mied die Klassengemeinschaft und wurde zum Außenseiter. Ich denke also doch, dass diese Erlebnisse ebenfalls zu den Erfahrungen als Trans* gehören ... 

2heartedman 25.05.2015, 08.52

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