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Beobachtung vs Interpretation - Kopfkino

Man betritt einen Raum, hört die Leute lachen. Plötzlich drehen sich alle um, sehen einen an - und verstummen. Dieses Gefühl, das einem dann durch den Kopf geht, muss ich nicht erklären, das kennt wohl jeder ;-)


In meiner Jugend habe ich ständig so gedacht. Alles auf mich bezogen. Aber recht bald habe ich gelernt (vor etwa 20 Jahren), dass ich weder der Nabel der Welt bin noch die Menschen ihr Handeln alleine an mir ausrichten. Habe begriffen, dass "Interpretation" und "Fakt" zwei völlig verschiedene Dinge sind. Es ist verlockend, die Beobachtungen sofort zu interpretieren, aber damit schadet man sich nur. 

Inzwischen war ich so gut darin geworden, solche Beobachtungen zu ignorieren, dass mir selbst Dinge nicht auffielen, die wohl tatsächlich offensichtlich an mich gerichtet waren (Schatz oder andere erzählten mir, wie ich demonstrativ angestarrt wurde oder man mich ansprach und ähnliche Dinge). 

Als ich die Transition angefangen habe, dachte ich mir "jaja, kein Problem, sowas steck ich weg". Und es war auch sehr leicht. Weil ich aussah wie eine Frau und wusste, was die Blicke und Reaktionen zu bedeuten hatten, wenn ich mich männlich verhielt. Es war auch so offensichtlich, dass ich idR persönlich darauf angesprochen wurde und auch reagieren konnte. 

Aber jetzt kann ich das nicht mehr. Jetzt fange ich langsam an zu interpretieren. Denn die Leute hören auf, mich bewusst anzusprechen (es ist rund zwei Monate her, dass ich zuletzt im Fitness-Studio auf Umkleide oder männliche Trainingskarte angesprochen wurde, davor mindestens einmal die Woche). Ich interpretiere daraus, dass sie sich unsicher sind und mich nicht verletzen wollen. Oder, dass die Leute mich inzwischen kennen und sich das herumgesprochen hat (das ist die positive Variante. Die anderen gehen mir natürlich auch durch den Kopf). Wenn jemand guckt, wenn jemand etwas sagt, wenn sich jemand soundso verhält - fange ich plötzlich an, das auf mich zu beziehen. 


Fakt: ein Mann in der Umkleide blickte mich kurz an
Interpretation: der guckt so skeptisch! Der hält mich für ´ne Frau! Der überlegt, ob er mich anspricht, dass ich hier falsch bin. Boah, mir reichts, das nervt echt! Warum muss ich mich ständig rechtfertigen?

Fakt: er dreht sich auf einmal weg und verlässt die Umkleide
Interpretation: der will mich nicht ansprechen, weil er zu feige ist. Jetzt geht er zu den Mitarbeitern und beschwert sich, dass da ´ne Frau in der Herrenumkleide ist! Scheiße, was sag ich jetzt? Die Mitarbeiter sind nett, aber was sagen die dem ? Sagen die dann, "jaja, die will ein Mann werden" oder sind sie so respektvoll und sagen "das ist Herr Sascha, ist schon okay"


Vermutlich war er nur kurz auf Toilette gegangen. Oder hatte vergessen, einen Schlüssel für den Spind zu holen. Oder wollte schnell noch einen Termin ausmachen. Oder etwas ganz anderes. 

Faszinierend. Wie plötzlich alte Muster, die man schon so lange überwunden hat (20 Jahre! Fuck, 20 Jahre lang habe ich es weitgehend geschafft, Beobachtungen nicht zu interpretieren und persönlich zu nehmen!!!) wieder aufbrechen. Und das Fiese: ich bin mir während dieser Interpretation voll bewusst, was ich da tue. Und obwohl ich weiß, dass das nur eine Interpretation ist und das ganz sicher nichts mit mir zu tun hat, ist da dieses kleine Stimmchen im Hinterkopf, das sagt "ha-ha, Du siehst immer noch nicht aus wie ´n Kerl, die Leute finden Dich lächerlich, schau Dich doch mal an. Kein Wunder, dass Du angegafft wirst!"

Sowas von Schwachsinn! Ärgere mich grade über mich selbst ... 

2heartedman 27.06.2016, 11.47

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