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Angst und Eifersucht

Überlege seit ein paar Stunden, ob ich das privat oder öffentlich blogge. Es sind intime Gedanken, die aber ein wichtiger Teil des Prozesses auf dem Weg der Angleichung sind. Ich möchte versuchen, den intimen Teil wegzulassen und es einigermaßen allgemein zu formulieren (aber dennoch in Ich-Form, denn natürlich ist das subjektiv). Ich halte es für sehr, sehr wichtig, über dieses Thema zu reden. Damit Neulinge wissen, dass Ängste normal und okay sind. Und damit Außenstehende begreifen, dass dies Teil des Prozesses ist und nicht bedeutet, dass jemand "doch nicht trans*" ist.


DASS ich ein Mann bin, daran habe ich keine Zweifel. Und dass ich diesen Weg gehen werde, ist sicher. Seit ich endlich den Mut gefunden habe, gibt es für mich kein Zurück mehr, und ich habe noch keine Sekunde an meiner Entscheidung gezweifelt. 

Das ich überzeugt von meinem Weg bin, heißt nicht, dass ich frei von Sorgen und Angst bin. Wenn die Sache mit dem Job nicht wäre, weiß ich nicht, ob ich nicht schon früher Testosteron genommen oder den Weg auch sonst insgesamt schneller beschritten hätte. Immer wieder gibt es Momente, in denen ich dankbar bin, dass ich nicht alles überstürze, sondern dass ich mir Zeit dafür lasse. Zeit hilft, den Prozess innerlich zu verarbeiten. Zeit hilft, mich langsam von meinem alten körperlichen Selbst zu verabschieden. Zeit hilft, mir mögliche Hindernisse auf meinem Weg bewusst zu machen und ihnen später nicht unvorbereitet gegenüberzustehen. Zeit heilt nicht alle Wunden, aber Zeit hilft die Wunden zu pflegen, damit sie später besser heilen.

Eifersucht ist ein sehr komplexes Thema, jeder geht anders damit um. Ich selbst bin zwar nicht frei davon, komme aber sehr gut damit klar. Mir ist bewusst, dass Eifersucht vor allem (meiner Ansicht nach) ein Mangel an Vertrauen gegenüber dem Partner ist, und dass es ebenso ein Mangel an Selbstwertgefühl ist. Wenn man sich der Beziehung, seiner selbst und des Partners sicher ist, gibt es keinen Grund. 

Es gibt einen sehr schönen Text von Jörn Pfennig (absoluter Buchtip, seine Texte sind wunderschön), leider aus Copyrightgründen kann ich ihn hier nicht veröffentlichen. Sinngemäß geht es darum, dass kein außenstehender Mensch den Partner wegnehmen kann. Nur der Partner selbst kann sich wegnehmen (lassen). Vorher sei Eifersucht grundlos, und danach sinnlos. 

Schon lange bevor ich meinen offenen Lebensstil führte, habe ich so empfunden. Und Eifersucht war etwas, das mir relativ fremd war. Vielleicht mal ein Stechen oder Ziehen, das ist menschlich, klar, aber mein Verstand gab mir klar zu verstehen, dass es keinerlei Grund dafür gibt. 

Doch in der letzten Zeit lerne ich dieses Gefühl neu kennen. Und es tut verdammt weh. Egal, wiesehr der Kopf mir sagt, dass es sinnlos ist. Dabei hängt es nicht einmal mit meinem Partner zusammen, dieses Gefühl. Sondern ... hm, jetzt wird es schwierig zu beschreiben. Ich werde es versuchen:

Auf Männer war ich noch nie eifersüchtig in Punkto Beziehung, denn "was hat der, was ich nicht habe" - logisch, ich habe einen Frauenkörper, er einen Männerkörper. Und bei Frauen, na, da war ich selbst eine, und ich wusste, dass ich gut bin, äußerlich und überhaupt, mein Selbstwert gefestigt, also warum eifersüchtig sein, nur weil eine Frau anders ist als ich?

Doch inzwischen habe ich das Gefühl, immer mehr dazwischen zu stehen. Meine weiche Haut, meine schönen Brüste, mein ansehnlich geformter Körper, meine runden Formen, ich bin hübsch, und das werde ich aufgeben. "Was hat diese Frau, was ich auch hatte aber niemals einzusetzen vermochte", "was hat diese Frau, was ich auch hatte aber falsch war", "so hätte ich sein können, wenn die Natur nicht so grausam gewesen wäre". 

Und bei Männern das gleiche: "er hat, was ich niemals haben werde, Testosteron hin oder her". 

Ich muss mich von meinem alten KÖrper mit seiner weichen Haut und den Rundungen verabschieden. Ich WILL mich verabschieden. Aber ich werde ihm offen gesagt auch nachtrauern. Andere Frauen und Männer sind der Spiegel, in dem ich mich als hässliches Zerrbild erkenne, und in mir steigt die Eifersucht auf etwas, das niemals war und niemals sein wird. 

Und dahinter die drängende, bohrende Frage: Wer bin ich?

Diese Frage tut weh. Denn was ich bin, war ich nur äußerlich. Innerlich war ich anders. Ob das Äußere aber eines Tages passen wird, weiß niemand. Es ist ein Weg ins Ungewisse. Ich werde sicher nicht bekommen, was ich will. Sondern ich werde bekommen, was mein Körper daraus machen wird, ob es mir gefällt oder nicht. Ob es meinem Partner gefällt oder nicht. Vor allem die Sorge, wie der Partner damit umgehen wird, führt zu diesen Ängsten. Das Bedürfnis, einem geliebten Menschen zu gefallen, ist groß, und es tut gut, wenn man nicht nur wegen der inneren Schönheit geliebt sondern auch wegen des Körpers begehrt wird. 

Wie gesagt: den Weg zurück will ich nicht, denn als Frau (die ich nicht bin) würde ich nicht glücklich werden, war ich nie glücklich. Ich zitiere die Bremer Stadtmusikanten: "etwas Besseres als den Tod finden wir überall". Oder, anders: etwas Besseres als Frau ist es allemal. Lieber ein hässlicher männlicher Körper als ein sexy Frauenkörper! Und dass er nicht hässlich ist, ein paar Narben hin oder her, dafür werde ich sorgen. Mit Ernährung, Körperpflege, Krafttraining, Ausdauersport, passenden Klamotten.

Es gibt neuerdings Momente, in denen brennt die Eifersucht. Auf die Menschen, die geboren wurden, wie sie sind. Ich stelle mir vor, wie schön es wäre, im richtigen Körper geboren zu sein. Und finde es traurig, dass die meisten Menschen, die cis (im richtigen Körper) geboren wurden, wohl niemals begreifen, welch einzigartiges Geschenk das ist. Die Frage "warum ich" ist absolut sinnlos, weil sie zum Grübeln und Jammern verleitet statt Taten folgen zu lassen. Ich stelle mir diese Frage nicht, aber manchmal drängt sie sich dennoch ins Hirn und verlangt Gehör. 

Manchmal habe ich Angst vor meiner eigenen Courage. Ich will und werde den Weg gehen. Aber es ist so unrealistisch. Jeder Schritt nach vorne ist ein Fest und ein Geschenk. Aber jeder Schritt nach vorne ist zugleich ein Abschied und ein Neuanfang. Mag ja sein, dass dem Anfang ein Zauber innewohnt (Hesse). Aber jeder Anfang bedeutet auch, sich auf etwas komplett Ungewisses einzulassen. 

Viele Jahre habe ich mich davor gedrückt, diesen Weg zu gehen. Weil ich Angst hatte vor dem was kommt. Angst vor der Reaktion meiner Mitmenschen. Angst davor, dass ich nicht die Kraft dafür habe. Angst, dass ich es nicht schaffe. Angst, dass es womöglich falsch ist. Angst, dass irgend etwas schiefgeht. Angst vor mir selbst. 

Ich glaube, Angst ist normal und okay. Und sie zu ignorieren, wäre absolut dumm. Aber noch dümmer wäre, wenn Angst das Leben blockiert und jegliche Neuerung verhindert. Ich empfinde Angst ähnlich wie Schmerz: als Warnsignal. Ich gehöre zu den Leuten, die auch ungern Schmerzmittel nehmen. Wenn ich Schmerzen empfinde, dann versuche ich sie liebevoll anzunehmen, sie den Körper nicht dominieren zu lassen aber zu sehen, dass da etwas im Körper geschieht (eine Verletzung, die heilen muss; ein Impuls, der mich verlangsamt und innehalten lässt, um diesem Prozess Zeit zu geben). 

Es fühlt sich an, als wolle ich auswandern. Auf einen anderen Kontinent. Papierkram, das alte Leben hinter mir lassen, neu anfangen. Für etwas, von dem ich zwar hoffe, das es besser sein wird, für das mir aber niemand garantieren kann. Ein Aufbruch ins Ungewisse, getragen von Hoffnungen, Wünschen, Plänen und Vorbereitungen. Und ein Abschied von geliebten Dingen, von geliebten Menschen, vom alten Leben. Wenn ein Mensch auswandert, wünscht man ihm Glück, und seine Sorgen / Ängste können alle verstehen, dennoch zweifelt kaum jemand an der Entscheidung, und natürlich können die Leute diese Ängste, aber auch die freudige Aufregung, nachvollziehen.

Tragisch ist, wenn Trans*menschen diese Angst nicht zu äußern wagen, weil das Umfeld sofort zweifelt oder sagt "siehste, dann bist Du gar nicht trans*" oder "siehste, das ist gefährlich, lass bloß die Finger davon" oder "Deine Angst sind das Zeichen dafür, dass Du nicht bereit dafür bist".

Ich bin dankbar, dass ich diese Angst zulassen kann. Es wäre schlimm, wenn ich die Angst unterdrücke und eines Tages von ihr überwältigt werde. Es wäre schlimm, wenn ich nicht lerne diese Angst zu verarbeiten und ihr später unterliege. 

Und ganz besonders dankbar bin ich, dass mein Partner mir hilft diese Angst zu tragen. Dass er mit mir darüber spricht. Dass er mich im Arm hält, wenn ich weine. Er kann mir die Angst nicht nehmen, aber er kann mir versichern, dass sie normal und gesund und okay ist. Dadurch hilft er mir, mich selbst anzunehmen. Die Eifersucht wird wieder weniger. Und ich spüre, dass er mich liebt, egal ob ich rund oder eckig, weich oder borstig bin, egal was zwischen meinen Beinen (nicht) ist. 

Gestern und heute kam diese Angst in mir auf. Sie zuzulassen tut weh. Aber es ist wie eine Art Reinigung. Vielleicht hängt sie damit zusammen, dass es langsam auf den ersten Termin beim Endokrinologen zugeht und ich einen weiteren Schritt geschafft habe. Nach dem Gespräch mit meinem Mann wurde es besser, und in ein, zwei Tagen ist sie wohl wieder weg. Und ja, ich bin auch für die Angst dankbar. Denn in ein paar Tagen, wenn sie weg ist, werde ich umso stärker sein ... 

************

Zum Schluss wieder etwas allgemeiner: im Forum lese ich gelegentlich von jungen Männern, die ebenfalls Angst haben vor ihrer eigenen Courage. Oder die sagen "wenn ich wirklich trans* bin, warum habe ich dann Zweifel?". Ich kann mich nur wiederholen: das ist - meiner Meinung nach - normal und gesund. Weitaus gesünder, als wenn man sich ohne jegliche Bedenken sofort in etwas verrennt und nicht ab und zu innehält zum Nachdenken!

Immer wieder taucht die Frage auf, ob man in der Therapie oder beim Gutachter darüber reden soll. Schließlich sind wir Trans*menschen auf Gedeih und Verderb deren Urteil ausgeliefert. Wenn ein Gutachter sagt "nö, die ist nicht trans*, die bildet sich was ein", dann kann es sein, dass wir eine Menge Theater bei Gericht haben. Dass wir womöglich noch ein Gutachten zahlen müssen, oder dass das Gericht uns die nächsten rechtlichen Schritte ablehnt. Kommt in der Praxis selten vor, ist aber möglich. 

Meine Meinung: doch, so etwas kann, darf und soll man auch in der Therapie ansprechen, wenn man unsicher ist. Dafür sind die Therapeuten ja da: uns zu helfen bei Unsicherheiten, Fragen und Ängsten. Wenn wir auf dem Regenbogen ins Taka-Tuka Land tanzen, wäre es sinnlos, uns fachliche Beratung an die Seite zu stellen, denn DAS können wir auch alleine.

Ich finde es wichtig, dass Trans*menschen am Anfang ihres Weges sich diese Aspekte bewusst machen und sie nicht verschweigen, weil sie dadurch weitere Diskriminierung und Ablehnung fürchten. 

Wenn Du Angst hast und Dich nicht getraust darüber zu reden: es gibt Foren und Communities, wo man Dich ernst nimmt. Wenn Dein Therapeut Dich nicht ernst nimmt und Dir deswegen "nur eine Phase" unterstellt - vielleicht kann man wechseln. Wenn Deine Familie oder die Freunde Deine Zweifel als Bestätigung dafür sehen, dass Du nicht trans* bist - dann lass Dich davon nicht runterziehen! Es gibt genügend Leute, denen es ähnlich geht, die das verstehen und die Dir helfen ... 

2heartedman 09.08.2015, 10.14

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Alex

Hey, ich wieder. Schöner Text. Die Angst habe ich auch, immerhin lebte es sich viele, viele Jahre in diesem Körper. Angst das jetzt zu ändern finde ich normal, bzw. empfinde ich auch so.

Ich denke ebenso oft, über die vielen cis Menschen nach, die niemals einen Gedanken darum verschwenden, ob ihr Körper der richtige ist. Natürlich, Zweifeln sie auf andere Weise. Aber das ist es ja nicht.

Weißt du, ich überlege dann einfach weiter. Hey, ja, dein Körper ist schön und du bist auch eine verdammt hübsche Frau, aber dass bin *ich* einfach nicht. Und das würde nichts werden mit uns, ist nichts geworden. Ich würde mich nur weiter leiden lassen, nur weil ich jetzt Angst habe, dass Vertraute gehen zu lassen. Also kenne ich das Gefühl, wollte ich sagen. ;)

Also nein, Angst nicht ignorieren, ihr nur zuhören und erklären, dass sie nur teilweise begründet ist und dann einfach weiter gehen...also den Weg.
Klasse, dass du das so ansprichst. Ich kenne ähnliche Gedanken auch von einer Freundin und jetzt von mir. Es ist okay. ;)

vom 12.08.2015, 01.30
Antwort von 2heartedman:

danke für Deine aufmunternden Worte! :-)