two hearted man
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An der Schwelle zwischen alt und neu

Momentan wird hier recht wenig getippt. Gründe? Kann ich schwer sagen. Vielfältig. Irgendwie grade alles zusammen.

Vor einigen Monaten kämpfte ich mit extremer Müdigkeit, die konnten die Ärztin und ich mit Hilfe einiger Spritzen wieder in den Griff bekommen. Dann ging es mir ein paar Wochen supergut, ich war recht fit. Und dann kam der Unfall vor rund sechs Wochen. Ich lag zwei Wochen platt und konnte nicht an den Rechner. Seitdem stapelt sich alles, und ich komme kaum hinterher, zumal ich nach den zwei Wochen Krankschreibung nicht wirklich von 0 auf 100 konnte. 

Mir wurde prophezeit, dass die Heilung ein halbes bis ganzes Jahr dauern würde. Statt dessen bin ich nach fünf Wochen absolut fit. Naja, keine 100 Prozent. Einschlafen und womöglich 8 h auf dem Gelenk liegen ist mir zu riskant. Und Kraftsport würde ich auch nicht sofort starten. Normaler Alltag ist dagegen schmerzfrei und problemlos, inzwischen vergesse ich oft, dass ich den Unfall hatte und verletzt war, es fühlt sich so lange her an. Objects in the rear view mirror are closer than they appear.

Aber: seitdem ich bin so unendlich müde. Ich habe die Vermutung, dass mein Körper für diese superschnelle (fast schon Wunder-)Heilung einfach so viele Ressourcen brauchte. 

Außerdem bin ich auch innerlich erschöpft. Momentan fühle ich mich an einem wichtigen Wendepunkt im Leben. Ich stehe zwischen "altem" und "neuem" Leben. 

Das alte Leben. Die bisherigen Freunde und Kontakte. Die Familie. Der Job. Mein weibliches Leben, mein weiblicher Name. Ich habe mich in großen Teilen schon geoutet, trotzdem war alles noch weit entfernt. Noch eine gefühlte Ewigkeit bis zum Testo, noch viel weiter bis zu den OPs, und der männliche Name eher eine Idee als ein Teil von mir. Und jetzt überall der neue Name, die männliche Identität, das männliche Leben, auch im Alltag.

Dieses alte Leben gilt es abzuschließen. Ich muss mich innerlich von einigen Dingen lösen und stelle fest, wie schwer das fällt. Muss mir überlegen, wie ich die allerletzten Outings hinter mich bringe, bevor ich dann mit tiefer Stimme und Bart vor den Leuten stehe. Muss den Papierkram erledigen, der mit dem Job abschließt, muss mich um ein paar alte Versicherungspolicen kümmern. Muss überlegen, mit wem ich aus dem alten Leben Kontakt halten möchte und wie ich ihnen den Übergang präsentiere. Das klingt alles recht banal, denn ich hatte ja Zeit, mich darauf vorzubereiten innerlich, und so ein bisschen Papierkram kein Ding. Aber wider Erwarten ziehen diese Dinge sehr viel Kraft. Denn jetzt, wo ich abschließen muss, wird konkret, was bislang nur ein Gedanke war. Ich erschrecke vor meinem eigenen Mut.

Das Spannungsfeld Arbeit und Berufsleben wird immer massiver. Tagtäglich muss ich Kollegen anlügen, wenn es um Zukunftsplanungen geht. Eigentlich wollte ich ein paar Tage vor Kündigungsfrist Bescheid geben, alles knapp halten. Aber ich werde jetzt demnächst schon loslegen, rund dreieinhalb Monate vorher. Einfach, um alles in Ruhe abzuschließen. Um meine Klienten / Kunden / Mandanten / Patienten zu übergeben, evtl jmd neuen anzuleiten, meine Kontakte und Netzwerke zu übergeben, meine Projekte (meine Babies, die ich in den letzten Jahren aufgebaut habe) zu übergeben. Möchte in Ruhe den Jahresbericht schreiben, mein Büro nach "privat, nehm ich mit" und "lass ich dort" sortieren. Mich verabschieden von meinem Traumjob, der noch immer mein Traumjob wäre, wenn ein paar Dinge vor Ort nicht so wären, wie sie eben sind. Ich werde tanzen, wenn ich gehe, und ich werde weinen.

Das neue Leben gilt es vorzubereiten. Neue Kontakte knüpfen, andere Transmänner treffen. Papierkram vorbereiten. Weiterhin den Therapeuten besuchen. In zwei Wochen Erstgespräch beim Endokrinologen (der Magier mit meiner Testo-Dosis). Mir Gedanken über einen DGTI-Ausweis machen. Mich mit dem Gedanken anfreunden, dass nach der Arbeit meine Nemesis (Arbeitsagentur, weitere Behörden) auf mich wartet. Mir ein oder zwei mögliche Initiations-Rituale überlegen für den Einstieg in die Transition und für den Übergang.

Auch das klingt simpel. Hier ein Treffen, da ein Termin, dort ein Brief. Aber auch das kostet Zeit, Kraft und Energie. Vor allem die Ungewissheit ist belastend, ich schwanke zwischen Angst und Vorfreude, zwischen Resignation und Jubel, zwischen "ich schmeiß alles hin" und "heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens, und es wird der verdammt noch mal beste Tag, den ich je erlebt habe". 

Momentan bin ich sosehr mit meinem Innenleben beschäftigt, dass für das Außen kaum noch Zeit bleibt. Wenn ich von der Arbeit komme, bin ich oft so müde, dass ich nicht mehr aufnahmefähig bin. Was nicht erledigt werden MUSS an diesem Tag, bleibt liegen. Der Stapel der unerledigten Aufgaben wird immer größer, direkt proportional sinkt meine Lust diese zu erledigen. Ich vertrödle meine Zeit und kann nicht mal sagen womit. Auf jeden Fall mit viel Schlafen. Aber oft liege ich dann wach und grüble vor mich hin. 

Wie werden meine blinden Großeltern am Telefon reagieren, wenn meine Stimme die eines Mannes ist? Werde ich meinen Job vermissen? Wird das Amt mir Stress machen? Wie schnell werden die Veränderungen an mir geschehen? Werde ich eine Glatze und nen behaarten Hintern kriegen? Werden die Behörden (mit denen ich seit Kindertagen auf Kriegsfuß stehe, das wäre ein paar eigene Themen hier im Blog wert) mir das Leben unnötig erschweren? Wird unser Plan mit der Selbständigkeit funktionieren? Wie werden die Menschen auf mich reagieren, wenn ich wie ein Zwischenwesen aussehe? Wird meine Mastek Komplikationen bringen? Warum meldet sich meine Mutter seit so langer Zeit nicht mehr? Und wird sie mich tatsächlich als Mann respektieren, oder war das nur dahergesagt? Wird mein Vater wirklich damit klarkommen, oder wird er sich noch mehr zurückziehen? Wird meine Beziehung diese Veränderung tragen können? Werde ICH diese Veränderung tragen können?

Ich bin Optimist. Aber ich bin nicht blind. Und Regen ist eben ein Teil des Kreislaufs, das wäre albern zu ignorieren. Momentan ist mein Optimismus einer harten Belastungsprobe ausgesetzt.

Deswegen kann ich mich oft nur schwer aufraffen etwas zu tippen. Statt dessen flitze ich rastlos durch die Wohnung, versuche mich an etwas Produktivem, lasse es wieder liegen, will mich entspannen und kann geistig nicht abschalten, und dann lege ich mich hin und schlafe. Dann ist schon wieder Montag, und ich muss arbeiten. Langsam wird das Warten zu einer unerträglichen Qual.

*********************

An die Neueinsteiger: es gibt immer wieder ein Hoch, ein Tief. Die Transition ist weder rosarot noch ein unüberwindbares Hindernis. Mach Dir keine Sorgen, wenn Du Zweifel hast oder einfach nur kaputt bist. Ich vermute mal, das gehört dazu. Wir haben ein Ziel vor Augen, und dafür lohnt es sich zu kämpfen! Wir haben so viele Jahre hinter uns gebracht - diese paar Monate überstehen wir auch noch!

An die "alten Hasen": wie war das bei Dir, als Du an der Schwelle zwischen alt und neu standest? Wie bist Du damit umgegangen, wie hast Du Dich gefühlt? Was hat Dir geholfen, diese Zeit zu ertragen?

2heartedman 25.09.2015, 17.57

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